Am 25. November ging in Mainz der dreitägige, alle zwei Jahre von den Business Angels Deutschland (BAND) und einem regionalen Netzwerk – diesmal Business Angels Rheinland-Pfalz – durchgeführte Deutsche Business Angel Tag (DBAT) zu Ende. Natürlich feiern sich Angels bei dieser Kongressveranstaltung alle zwei Jahre als „wichtigste Startup-Frühphasenfinanzierer“ der Republik. Sie tun das zurecht, denn sie zelebrieren sich dafür, als Privatinvestoren kumuliert für etwa zwei Drittel aller Frühphaseninvestments (Pre Seed- und Seed-Phasen) aufzukommen. Damit verweisen sie Kreditinstitute, Family Offices, Gründer-Familien und, ja, auch Venture Capital Fondsmanager, deutlich auf die Plätze.
Kurios ist allerdings, dass letztere, VCs, mit ihrem vergleichsweise marginalen Gewicht maßgeblich das öffentliche Bild der frühphasigen Startup-Szene prägen und damit auch das Bild von uns Angels bestimmen. Und noch kurioser ist, dass wir Angels dieses Bild, das diese anderen von uns und unserem Home Turf zeichnen, bereitwillig als deren nützliche Idioten übernehmen. Dies war auch in Mainz wieder zu beobachten. Da kann es nicht Wunder nehmen, dass das kaputt-reformierte INVEST-Programm der noch amtierenden Bundesregierung nur noch unerfahrene Angels fördern möchte, also diejenigen, die das Spiel noch nicht durchschaut haben, während für diejenigen, die mit ihrem eigenen Geld immer wieder aufs Neue Startups finanzieren und so das deutsche Startup-Ökosystem so vor dem zweiten thermodynamischen Gesetz bewahren, kein Cent mehr übrig ist.
„Mutig“
Wie sieht dieses BIld, das VCs und ihr Resonanzboden, die Politik in Bund und Ländern, von uns zeichenen, aus? Tatsächlich ist es auf den ersten Blick gar nicht so falsch. Es ist sogar positiv. Denn ein schönes eigenes Bild beflügelt jedes Angel-Ego und incentiviert sie oder ihn so, Geld aus der Tasche zu holen:
Wir sind „mutig“, denn wir investieren mit signifikant viel höherem persönlichen Einsatz in signifikant viel größere Risiken als VCs dies tun. VCs investieren (überwiegend mit dem Geld anderer) in Wahrheit nicht in Startups, sondern in Startup-Portfolien. Das ist ein erheblicher Unterschied, über den öffentlich kaum nachgedacht wird. Man könnte uns, wahrheitsgetreuer, leichtsinnig nennen. Doch da wir nur das investieren sollten, was wir entbehren können, sind wir wohl weder leichtsinnig noch mutig. Wir sind am ehesten leidenschaftliche Spieler.
„Wichtig“
Wir sind „wichtig“ – nicht nur, weil wir mit Abstand das meiste Geld für frühphasige Startups beistreuern, sondern außerdem, weil wir „kenntnisreich“ und „erfahren“ sind. Als Privatiers investieren wir überwiegend in Startup-Branchen, die wir aus eigener Vita gut kennen, besser kennen jedenfalls als die typischen Fondsmanager der VCs. Als ehemalige Unternehmer und/ oder Manager sind wir in der Regel auch qualifizierter, das Potenzial von Gründerinnen und Gründern angemessen zu beurteilen. Die Analysten der VCs sind – meist – helle Köpfe. Doch Praxiserfahrung haben sie nicht, denn sie kommen – meist – direkt nach Studienabschluss zu ihrem Job. Natürlich bestätigen auch hier, wie überall, Ausnahmen die Regel.
„Altruistisch“
Wir sind selbstlos, denn wir investieren mit unserem Geld und mit unserer Zeit auch dann noch in unsere „Babys“, wenn VCs sie längst aufgegeben haben. Wir glauben an unsere Lieblingsgründerinnen und -gründer und gehen mit ihnen von Bridgerunde zu Bridgerunde durch dick und dünn. Wir tun es selbst dann, wenn wir ahnen, wenn nicht gar wissen, dass unser Geld am Ende gutes ist, das wir dem schlechen initialen hinterher werfen. Kein VC kann sich diesen Aufwand und dieses Risiko leisten.
„Nützlich“
Tatsächlich aber sind wir damit für diejenigen, die unser öffentliches Bild prägen, vor allem eines: Nützlich. Nützlich sind wir, und das wird in der Kommunikation regelmäßig unterschlagen, deswegen, weil wir das Geschäftsmodell der VCs nicht stören: Wir liefern ihnen die Frühphasen-Deals, gehen – für sie – mit unserem eigenem Geld ins Risiko, liefern Know-how und Erfahrung, entlasten Budgets, optimieren Portfolien und stören am Ende nicht bei der eigenen Renditemaximierung. Mehr kann ein GP-Herz nicht verlangen. Denn wir tun es in dem Wissen, dass dieses Geschäft maßgeblich zu unseren Lasten und ihren Gunsten geht. Insoweit sind wir nicht allein nützlich, sondern tatsächlich mehr als das. Der typische deutsche Business Angel: ein nützlicher Idiot.
„Lästig“
Mit fortschreitenden Finanzierungsrunden haben wir allerdings immer weniger und schließlich überhaupt nichts mehr zu sagen, denn jeder neue Beteiligungsvereinbarung macht die vorherige zur Makulatur. Aus VC-Perspektive sind wir in den späten Phasen nur noch eines: Lästig. Wir verstopfen den CapTable.
Ohnmächtig
Wir werden daher aus Beiräten hinauskatapultiert. Wir werden genötigt Poolvereinbarungen beizutreten. Und dieselben Poolvereinbarungen zwingen uns sodann, unsere ureigenen Interessen mit Füßen zu treten. Beim Exit kommen wir aufgrund der Liquidationspräferenzen als Vorletzte der Warteschlange zum Zuge, soweit dann überhaupt noch etwas zu holen ist. Und wenn der statistisch typische Fall eines nicht performenden Startups eintritt, werden wir VC-seitig zusätzlich auch noch erpresst.
Erpressbar
Meilenstein-Tranchen werden an Startups nämlich nur noch dann ausgezahlt, wenn der VC über ad hoc veränderte Gesellschaftervereinbarungen mit zusätzlichen Liquidationspräferenzen beschert wird. VC-freundlich designte Gesellschaftervereinbarungen sorgen dafür, dass der Angel dem betreffenden Adendum zustimmen muss. Mit dem Argument: „Entweder das Startup geht pleite und Du bist schuld oder Du stimmst zu“ wird zusätzlich die Moralkeule geschwungen und, wenn alles nichts hilft, mit Zivilklagen gedroht.
Beim Deutschen Business Angel Tag ließ sich beobachten, wie bereitwillig Angels in das Gravitationsfeld der VCs und ihrer Anwälte hineinfallen: Tonangebend war das übliche heile Welt-Gerede: „Angels, VCs und Gründer ziehen doch alle am selben Strang; wir wollen doch alle das Gleiche, nur das Beste für unsere Startups. Niemandem ist doch gedient, wenn obstinate Angels sich einer Gesellschaftervereinbarung in den Weg stellen, Finanzierungsrunden oder Exit-Entscheidungen blockieren oder den CapTable verstopfen. VCs sind doch außerdem im Unterschied zu uns Hobby-Investoren Profis.“ Ja, natürlich. Wir haben uns alle lieb und wir wollen alle nur das Beste und unser aller Interessen konvergieren immer. Deswegen braucht es ja eigentlich auch gar keine Verträge… .
Profis?
Die skizzierte typische Situation ist auch mir 1:1 mit einem prominenten (die Gründerin ist eine Meisterin der Eigen-PR) Münchner Digital Health Startup begegnet. Das besonders Ärgerliche: Im Beirat sitzen branchenferne Family-Offices und VCs, die ihre monetären Interessen zu schützen suchten und sich in allen geschäftsrelevanten Fachfragen (Geschäftsmodell, Markt, Produkt) aus schierer Ahnungslosigkeit von der Gründerin gleichschalten ließen. Diese pivote mit dem ihr eigenen Macky-Selbstvertrauen in bemerkenswerter Selbstüberschätzung sowohl in der frühen als auch in den späteren Phasen mit viel zu vielen Mitarbeitenden durch alle erdenklichen Geschäftsmodelle und Produkte in die beinahe-Insolvenz. Mit einer dreistelligen pre-money Millionen-Bewertung ging sie, vom Beirat sanktioniert, vor drei Jahren in eine Finanzierungsrunde und landete schließlich bei einem Drittel davon, für das sich nur einige Bestandsgesellschafter widerwillig erwärmen konnten. Der letzte ARR-Meilenstein wurde nach dieser Not-Finanzierungsrunde um mehr als 18 Monate verfehlt. Er ist bis heute nicht erreicht. Uns Angels wurde gründerinseitig per E-Mail suggeriert, er sei, „trotz der Erfolge im zurückliegenden Jahr”, nur knapp verfehlt worden, weshalb die letzte Millionen-Tranche mit der Absicherung einer zweifachen nicht anrechenbaren Liquidationspräferenz gesellschafterseitig gefälligst bewilligt werden möge. Und wenn Du nicht spurst verklag ich Dich.
Immer wieder erleben wir Angels, dass im Beirat Gesellschafter sitzen, die vermeintlich unsere Angel-Interessen vertreten und in Wahrheit den Steuerknüppel blindfliegenden Gründer-Kapitäninnen und -Kapitänen überlassen. Derweil müssen wir vom Boden aus zusehen, wie mittels seichter Reportings ein friedlicher, sonnenbestrahlter Himmel simuliert wird, obwohl tatsächlich längst ein Entlassungs-Orkan wütet. Im vorliegenden Fall hatte die Gesellschaftermehrheit der eklatant erfolglosen Gründerin sogar zu zusätzlichen Anteilen verholfen, damit sich ihr Einsatz für sie auch lohnen würde. Von ihrer Großartigkeit blieben die Beiräte aller Pannen zum Trotz überzeugt, weil die Gründerin selbst von ihrer Großartigkeit überzeugt war (und weiterhin ist). Der monetäre Einsatz von uns ohnmächtigen Frühphasen-Angels dagegen wird nun ein weiteres Mal bestraft.
Wie lange noch wollen wir nützliche Idioten bleiben?
Die Restrukturierung von CapTables im Interesse von Gründern in späteren Phasen kann vernünftig sein. Niemandem ist mit demotivierten Gründern gedient, wenn sie das Heft in der Hand behalten sollen und wollen. VCs, die nach dem Platzen der Internetblase vor bald einem Vierteljahrhundert ihre Gründerinnen und Gründer noch gerne die Schuhe auszogen, haben dies verinnerlicht. Doch vernünftig ist diese Großzügigkeit nur dann, wenn Gründer einen vernünftigen Plan verfolgen und Beiräte fähig sind, einen vernünftigen von einem unvernünftigen zu unterscheiden.
Es ist hohe Zeit, dass auch wir Angels in Deutschland dazu lernen und unsere Lobby dazu nutzen, Angel-freundlichere Beteiligungsverträge – nicht alleine für die Frühphase – durchzusetzen. Solange wir erpressbar bleiben, bleiben wir nützliche Idioten, Angel-Michels, die, weil sie so gern “professionell” sein würden, VCs aus der Hand fressen. Instrumentell hilfreich ist dabei nicht eine lautere Stimme, sondern ein besseres Verständnis dafür, warum wir so lange ohnmächtig geblieben sind. Anderswo sind Angels wirklich professionell. Sie behalten die oben beschriebenen bzw. sinngemäß zitierten Angel-Eigenschaften, bewahren sich aber über selbst geschmiedete mächtige Angel-Pools, die von Angels und nicht von non-Angels repräsentiert werden, über alle Finanzierungsrunden eine Macht, an der kein VC vorbei kommt.