Recht auf Reparatur: Verbrauchererziehung zu Industrie-Dackeln oder Geburtsstunde von PaaS im B2C?

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Das EU-Parlament und der Rat haben sich auf ein von der Kommission vorgeschlagenes spätestens ab 2026 EU-weit geltendes Verbraucher-„Recht auf Reparatur“ von Smartphones und Tablets, Waschmaschinen, Trocknern, Geschirrspülern, Kühlschränken, Displays, Schweißgeräten, Servern und Staubsaugern verständigt.

Ziel der Richtlinie, die von den nationalen Gesetzgebern binnen eines Zeitraums von längstens 24 Monaten umgesetzt werden muss, ist zum einen die Reduzierung von Geräteabfall und Elektroschrott und zum anderen die Stärkung der Verbraucher gegenüber Handel und Industrie.

Die Richtlinie soll mindestens sicherstellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eine gegenüber einem Neukauf kostengünstigere Reparatur ihrer Geräte durchsetzen können, solange die Geräte noch reparierbar sind.

Was bedeutet „reparierbar“ im Verständnis der EU? Gemäß der Richtlinie wird ein Produkt als “reparierbar” betrachtet, wenn es so konzipiert und hergestellt ist, dass es „leicht demontiert, repariert und wieder zusammengebaut werden kann“. Künftig müssen Hersteller also die von ihnen produzierten Geräte zur Reparatur annehmen und Händlern und Werkstätten Instruktionen geben, wie diese die Geräte zu reparieren haben, falls die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre defekten Geräte nicht an den Hersteller senden, sondern beim Händler zur Reparatur geben. Eine EU-weit nutzbare Internet-Plattform soll außerdem dafür Sorge tragen, dass die Konsumenten mühelos den Weg zu einem kostengünstigen Reparatur-Anbieter finden.

Klingt super?

Der halbwegs aufgeklärte Konsument dürfte wissen, dass Haushalts- und sonstige Geräte industrieseitig von jeher bewusst so hergestellt werden, dass sie irgendwann unwiederbringlich kaputt sind. Der zeitlich möglichst begrenzte Lebenszyklus auch eines teuren Markengeräts, egal ob Waschmaschine, Bügeleisen, Kühlschrank oder Automobil, ist schon sehr lange Programm gewesen – geplant und gewollt. Bei der Wahl der zu verarbeitenden Materialien und bei der Güte und Sorgfalt der Verarbeitung gilt also seit jeher, zwischen dem jeweiligen Qualitätsanspruch („er fährt und fährt und fährt…“) und Verkaufspreis einerseits und der Chance auf den möglichst häufigen Verkauf eines Neugeräts andererseits zu balancieren. Daran ist nichts kritikwürdig. Auch die Industrie ist auf Recurring Revenues angewiesen.

Was wird ‘Recht auf Reparatur’ bewirken?

Man wird annehmen dürfen, die Formulierung „solange die Geräte noch reparierbar sind“ wird gesetzgeberseitig so ausgelegt werden, dass sie „passt“.

Sie wird dazu führen, dass die teuren Markengeräte, die Miele-Staubsauger dieser Welt, ebenso wie die Geräte der Handelsmarken, künftig preisgestaffelt mit einer mehr oder weniger großen Menge an elektronischen, leicht kaputtbaren Add-ons, vulgo Schnickschnack, verkauft werden. Denn das

  • steigert den Leistungsumfang und rechtfertigt weiterhin hohe VK-Preise;
  • ermöglicht eine kostengünstige Reparatur der Geräteelektronik, die sich wirtschaftlich für die Hersteller, Händler und Werkstätten lohnen wird. Elektronik-Defekte lassen sich gegenüber mechanischen vergleichsweise billig detektieren und reparieren;
  • erlaubt eine schlechtere Verarbeitung unter Verwendung kostengünstigerer Materialien, die beide bei einer Erstreparatur der Elektronik noch gar nicht gegenständlich werden;
  • macht die für Hersteller teurere, unwirtschaftliche Reparatur der kostenträchtigeren sonstigen Verschleißteile überflüssig – entweder, weil die Verbraucher darauf trainiert wurden, noch mehr Elektronik für ihre Geräte nachzufragen, (die im reparaturbedürftigen Bestandsgerät nicht verfügbar ist, weshalb sie sich für ein Neugerät entscheiden) oder weil der Verschleiß dieser Geräte so schnell fortschreitet, dass eine Reparatur eben nicht mehr „leicht“ möglich ist. Wenn (nahezu) alle Module eines Geräts ausgetauscht werden müssen, dann ist dies keine Reparatur mehr.

Im Ergebnis bewirkt die Richtlinie daher mit hoher Wahrscheinlichkeit das exakte Gegenteil dessen, wozu sie ersonnen wurde: Es wird noch mehr weißen Müll geben und wir Verbraucher werden als dressierte Industrie-Dackel noch bereitwilliger Neugeräte nachfragen, statt an unseren Bestandsgeräten festzuhalten. Die Halbwertszeit der Gerätegenerationen wird abnehmen und die Verbraucherwerbung wird darauf abzielen, den Komfort der neuesten Gerätegeneration gegenüber ihren mechanischen Eigenschaften in den Vordergrund zu rücken, sodass letztere angesichts der Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts als Verbraucher-Need kaum mehr Relevanz besitzen werden.

Neues Geschäftsmodell für Hersteller von Consumer Products?

Eine alternative Strategie jedenfalls der hochpreisigen Markenhersteller könnte allerdings darin bestehen, jenseits der Elektronik und KI tatsächlich nachhaltig einsatzfähige teure Geräte-Chassis zu verkaufen, auf die die Verbraucherinnen und Verbraucher dann nach individuellem Gusto die zu ihren Bedarfen und Budgets passenden „Apps“ draufsatteln können. Auch so könnten die betreffenden Unternehmen eine langfristige Kundenbindung erreichen. Kundinnen und Kunden würden für diese Markenhersteller Recurring Revenues jenseits der „Staubsaugerbeutel“-Käufe  und „Elektronik-Reparaturen“ dadurch triggern, dass eben derlei Apps gekauft werden können oder müssen, um den maximalen Nutzen aus dem Gerät herauszuholen. Im Grunde wird diese Strategie ja bei vielen Anbietern, Kärcher&Co., längst auf Hardware-Ebene gefahren. Als Software-Module böten sie, ähnlich wie bei immer mehr Autoherstellern heute schon, minimale Grenzkosten bei ansehnlichen Erlösen. Aus Bügeleisen und Wäschetrocknern würden Hardwareplattformen, deren wirtschaftlicher Zweck in erster Linie darin besteht, Software zu verkaufen, die sich für den Hausmann oder die Hausfrau als Abbo-Modell (SaaS) darstellen ließe, das sich „gefühlt“ nicht von einem Ratenkauf unterscheidet.

Von solchen Hardware-Software-Packages kämen die Verbraucher, wenn sie nur lange genug einem Markenanbieter treu geblieben waren, nicht mehr ohne weiteres los, denn beim Wechsel zur Konkurrenz würden sie alle liebgewonnen Apps verlieren und außerdem eine neue Hardware anschaffen müssen. Markenhersteller würden gegenüber dem Endverbraucher im B2C-Umfeld ähnlich agieren, wie es immer mehr Maschinenbauer inzwischen gegenüber der Industrie im B2B-Kontext versuchen: Als Dienstleister: Manufacturing as a Service – aus Geräteanbietern würden verbrauchernahe Service-Dienstleister. Die Konsequenzen für den stationären Elektro-Handel allerdings könnten dann wenig erfreulich aussehen. Wenn Mass Customization so perfektioniert wird, gibt es noch weniger Grund, die Beratungsleistung der Händler in Anspruch zu nehmen und zu bezahlen.

Kaum Kritik

Sicherlich wird die Industrie in Brüssel und Strassburg aktiv an der Ausgestaltung der neuen Richtlinie beteiligt gewesen sein. So oder so dient sie jedenfalls in erster Linie ihr, weshalb es nicht Wunder nimmt, dass sie industrieseitig wenig kritisch rezipiert wurde. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (DIHK) Martin Wansleben jedenfalls monierte lediglich, es fehlten vorläufig Fachkräfte, um den Reparaturaufwand leisten zu können, außerdem sei der erwartbare Logistik- und Lagerhaltungsaufwand für Ersatzteile enorm, weshalb die Verkaufspreise bei Implementierung der Richtlinie in jeweils nationales Gesetz teurer werden könnten.

So wurde zunächst einmal das Preisschild hoch gehoben und ansonsten abgewartet, wie die Richtlinie in Deutschland umgesetzt wird. In meinen Augen agiert sie dabei absolut nachvollziehbar und vernünftig. Ob das im Sinne der Erfinder ist, ist eine ganz andere Frage.

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