Blindes Vertrauen

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Business Angels sind Amateuere par excellence – immer!

Business Angels sind im Metier des Investierens in junge Unternehmen Amateure par excellence. Jedes Einzelinvestment in ein frühphasiges Startup ist ein Investment in ein unbeschriebenes Blatt. Wenn ich in etwas investiere, das ich nicht kennen kann, dann bin ich Amateur, egal wie oft ich das mache. Ich kann als Angel also gar kein Profi-Investor sein. Einzig Super Angels können wir einen Profi-Status zubilligen. Denn hier geht es nicht um den jeweils individuellen Umgang der Investorin oder des Investors mit einigen wenigen Startups, sondern darum, wie er oder sie mit großen Portfolios von bis zu 100 (und manchmal sogar mehr) Startup-Beteiligungen umgeht. Hier dürfen wir erwarten, dass den statistischen Gesetzmäßigkeiten der Portfolio-Theorie, beispielsweise dem Grundsatz der Diversifizierung und Risiko-Streuung, professionell Rechnung getragen wird. Aber auch nur hier!

Diversifizierung und Risiko-Streuung sind für “normale” Angels unmöglich

Bei Portfoliogrößen von, sagen wir, um die 10 Beteiligungen, ist schon der Begriff der Diversifizierung bizarr: Wonach, bitte, soll ich dort „streuen“? Unternehmensalter? Standort? Branche? Kapitalbedarf? Technologie? Geschäftsmodell? In jeder dieser Dimensionen allein könnte ich so streuen, dass 100 oder mehr distinkte Beteiligungen möglich wären. Bei einer Portfoliogröße von 10 streue ich, je nach Blickwinkel, entweder prinzipiell immer oder immer nicht und zwar völlig unabhängig davon, ob ich beabsichtige zu streuen oder nicht. Der Begriff „Diversifizierung“ macht bei kleinen Portfolios offensichtlich keinen Sinn. Der typische Angel mit einer Portfoliozielgröße von manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger als 10 Beteiligungen, kann also gar nicht streuen und kann daher auch nicht Profi im Sinne eines VCs sein, so sehr er oder sie sich das vielleicht wünscht. Daraus folgt allerdings nicht zwingend, dass der Amateur schlechter investiert als der Profi, was immer „besser“ oder „schlechter“ in diesem Kontext bedeuten kann. Denn aus dem genannten Grund lässt sich das Investitionsverhalten eines Angels eigentlich nicht mit dem eines VCs vergleichen. Beide sind inkommensurabel.

Ein Profi ist nur auf seinem Gebiet ein Profi

Was tun wir aber, wenn wir erkennen zu einem Amateuer-Dasein verurteilt zu sein? Wir suchen professionellen Rat. Und das ist vernünftig, solange wir uns den Rat von Profis nicht auf Feldern suchen, auf denen auch die Profis keine Profis sind: Allein deshalb, weil wir den Angehörigen eines Berufsstands, einem Anwalt, Steuerberater, Hochschullehrer, Wirtschaftsprüfer, Ingenieur oder General Partner eines VCs Professionalität zubilligen, können wir nicht ableiten, dass sie in jeder von uns gesuchten Profi-Dimension tatsächlich Profis sind.

Doch genau diesen Fehler, Profis Professionalität auf Feldern zuzuschreiben, auf denen sie keine besitzen, begehen wir Angels gerne und oft. Auch ich. Die Rede ist hier also von schlecht begründetem blinden Vertrauen in die Professionalität Dritter. Besonders einladend für uns Amateure ist es, Akademikern und Hochschullehrern in den Branchen unserer Zielmärkte großes Vertrauen entgegen zu bringen. Und mindestens ebenso einladend ist es für Angels, VCs diesen Vertrauensvorschuss entgegen zu bringen.

Beides kann fatale Folgen haben.

Der Professor wird’s schon wissen?

Bei meinem Investment in ein vielversprechend aussehendes Hochschul-Spin-off in Sachen Industrial AI, über das ich in meinen letzten Post berichtete, hatten wir Angels uns von dem bereits investierten Professor der Gründer, und zwar ganz ohne dessen Mitwirkung, allein aus fachlicher Autoritätshörigkeit, dazu verleiten lassen zu meinen: „Der Prof. muss es ja wissen.“ Als Experte, dachten wir, wird er beides, die Technologie und den künftigen Markt, wie seine Westentasche kennen; schließlich realisierte er dort laufend über seine Hochschule Pilotprojekte und besaß reichlich ‚Vitamin B‘, um neue Aufträge an Land zu ziehen.

Vertrauen macht blind

Dass Pilotprojekte aus den Innovationsabteilungen der Industrie schlecht dazu geeignet sind, breit angelegte Roll-outs in den Werken der betreffenden Kunden durchzuführen, sahen wir nicht, weil wir es nicht sehen wollten. Vertriebliche Mißerfolge machten wir lieber an handwerklichen Vertriebsdefiziten fest. Die gab es ja, wie in meinem letzten Post dargelegt, tatsächlich. Sie hatten eben nur gar nichts mit unserem vertrieblichen Mißerfolg zu tun. Der lag an etwas ganz anderem: Dem nicht vorhandenen Need in den Zielmärkten unseres Startups. Wozu brauche ich vertriebliche Skills, wenn es den Markt gar nicht gibt?

Statt einzusehen, dass es keinen Bedarf in den Zielmärkten gab, dranglasierte ich lieber unseren Gründer, doch bitte endlich „richtig“ zu verkaufen, Coaching-Angebote inklusive.

Und was machte der Gründer? Er verkaufte noch falscher: In der nachvollziehbaren Absicht, den nächsten Meilenstein zu erreichen und uns nörgelnde Investoren endlich ruhig zu stellen, legte er unwirtschaftliche, unrealistische, spottbillige Angebote, die seine Kunden nicht ablehnen konnten und die sein Startup nicht einmal perspektivisch hätte profitabel leisten können.

Wir Investoren dagegen glaubten zu sehen: „Aha, endlich wirkt unser Druck, endlich wird richtig verkauft!“

Stattdessen: Das für die Operations verantwortliche Team gab dem für den Vertrieb verantwortlichen Gründer – zurecht – die Schuld an unrealistisch gelegten, unmöglich und schon gar nicht profitabel leistbaren Angeboten und der für den Vertrieb verantwortliche Gründer gab uns Investoren, nicht vollkommen zu unrecht aber auch nicht vollkommen zurecht, die Schuld: „Ihr wolltet es doch so!“

Wenn Fehler zu Folgefehlern zwingen

Nein, das wollten wir nicht so. Nur hatten wir uns genauso wie ihr beide von dem Irrglauben leiten lassen, es gäbe einen Markt, wo es tatsächlich keinen gab und bis heute nicht gibt.

Daher hatten wir den falschen handwerklichen Vertriebshebel angesetzt. Ihr wolltet das Investment retten und habt uns mit schlechten neuen Aufträgen einen erreichten Meilenstein vorgegaukelt und außerdem Harmonie im Team simuliert, wo es längst keine mehr gab.

Nachdem wir aufgrund des ausbleibenden Vertriebserfolgs schon misstrauisch gegenüber den fachlichen Gründerqualitäten waren, waren wir jetzt wegen der uns vorenthaltenen Transparenz außerdem misstrauisch hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit des Gründerteams. Wir erlebten gemeinsam maximalen Flurschaden und eine Kaskade falscher Maßnahmen – geboren aus dem einen Kardinalfehler aller Beteiligten: Stillschweigend und ungeprüft an einen massiv gehypten, vermeintlichen Markt zu glauben. Hätten wir das frühzeitig erkannt, hätte womöglich ein Pivot realisiert oder das Vorhaben beerdigt werden können, ehe weiteres gutes Geld dem investierten schlechten hinterhergeworfen wurde.

Who is to blame?

Die „Schuld“ an unserer Fehleinschätzung lag nicht beim Prof. Er hatte uns nicht überredet. Wir hatten seine technologische Expertise und die seiner Studenten und Gründer als Beleg für die künftige Existenz eines Marktes missverstehen wollen. Der Wunsch war Vater unserer Entscheidungen. Wir haben dem Prof und seinen Gründern vertraut, die einen Markt herbeiphantasierten hatten, den es einfach (noch) nicht gab. Klar, sie, der Prof und die Gründer, waren betriebsblind. Nur: Dass sie es waren, wissen wir heute. Der Markt hätte eine andere Wendung nehmen können. Dann wären sie Propheten gewesen.

Unser Fehler war nicht der ausbleibende Product Market Fit (den man in neuen Märkten sowieso kaum testen kann – dazu komme ich in den nächsten Wochen). Unser Fehler war die fehlgeleitete Sicherheit, mit der wir die Existenz eines Marktes als gegeben betrachten, weil veremeintliche Autoritäten es uns so nahelegten. Diese Sicherheit brachte mich dazu, den zentralen Grund für den ausbleibenden Erfolg des Startups an der ganz falschen Stelle, beim Vertriebshandwerk, zu suchen, eine Stelle, die zwar tatsächlich Defizite aufwies, nur eben leider nicht ursächlich dafür war, dass der Erfolg ausblieb.

Wenn VCs Trends hinterher laufen

Wir waren nicht so naiv zu glauben, der Markt sei bereits entwickelt, der PMF gegeben. Doch wir hatten uns von dem wishful Thinking treiben lassen, der Markt werde auf jeden Fall kommen, weil es ‚vernünftig‘ ist, dass er kommen wird, weil er „einfach kommen muss“. Es waren ja nicht der Prof und die Gründer allein, die in dieses Horn bliesen. Man hörte aus allen Himmelsrichtungen das Gleiche: KI ist das nächste Big Thing. Wir schrieben das Jahr 2018. Lange vor ChatGPT war KI schon das nächste große Ding! Plus: Die deutsche Industrie schien ebenfalls felsenfest entschlossen zu sein, KI lieber gestern als heute im Shopfloor einzusetzen. Innerhalb der Industrie gab es unzählige Gremien, Kooperationen, Foren, Kongresse, die diesen Hype befeuerten. Der Hype war so extrem, dass Industrie 4.0 für viele echte Markt-Experten nachgerade zum Unwort aus dem Reich der Amateure geworden war.

Und natürlich standen vor allem auch die VCs voll hinter dem Hype. Erst nachdem sie mit unserem und einigen anderen Startups langsam einsehen mussten, dass Algorithmen im Maschinenpark schlecht skalieren, begannen sie umzudenken. Und an dieser neuen KI-kritischen Position im industriellen Umfeld hielten sie auch fest. Erst die Macht von ChatGPT zwang sie Ende 2022/ Anfang 2023 dazu, erneut eine Kehrtwende zu vollziehen und KI im Shopfloor auf einmal wieder spannend zu finden.

Dass wir nicht nur dem Hochschullehrer, sondern auch den VC-Experten folgten und die Bereitschaft eines großen VCs in unser Startup zu investieren als Testat der Existenz einer kommenden großen Nachfrage, eines kommenden großen Markts, eines absehbaren Product Market Fits (PMF) auffassten, war falsch, um nicht zu sagen: dumm.

Es war aber noch fundamentaler, nämlich von vorneherein, ohne Ansehung unseres spezifischen Falls, falsch.

VCs können es sich leisten in Rohrkrepierer zu investieren

VCs können es sich nämlich erstens leisten, in sehr viele Rohrkrepierer zu investieren, solange nur eines der Investments kein Rohkrepierer wird, sondern richtig fliegt. Wenn ich als VC in 100 Zielunternehmen investiere, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige von ihnen sehr erfolgreich sein werden, sehr groß. Und dann tun mir die Rohrkrepierer nicht wirklich weh. Die Zielrendite meines VC-Portfolios wurde längst vorab definiert und mit meinen LPs vereinbart. Gute VCs waren und sind immer bereit, größere Markt-Risiken mit den einhergehenden Chancen einzugehen als gute Angels.

VCs blind zu folgen ist für Angels noch aus einem weiteren Grund grundgefährlich: Die VC-Mitarbeiter, die die Vorauswahl der für sie interessanten Startups treffen, haben wenig bis gar keine Führungserfahrung. Nur wenige alte Hasen innerhalb der VCs sind aus eigener Erfahrung im Umgang mit Gründern befähigt, potenziell erfolgreiche Gründer von wahrscheinlich weniger erfolgreichen zu unterscheiden. Business Angels mit eigener Unternehmer-Erfahrung sind in dieser Hinsicht meistens deutlich qualifizierter, weil sie, zum Teil leidgeprüft, die gleichen Gründer- oder Management-Erfahrungen gemacht haben.

Co-Investments mit VCs sind daher aus Angel-Perspektive sehr gründlich auf Risiken hin zu analysieren, die für VCs marktüblich, für Angels dagegen aufgrund ihrer kleineren Portfoliogröße gefährlich sind. Ich freue mich immer, gemeinsam mit VCs zu investieren, weil diese mir die Mühen und Kosten der Legal Due Diligence und die Startup-Bewertung abnehmen. Bei der Legal DD besitzen VCs über ihre Anwälte eine Expertise, die ich mir teuer einkaufen müsste. Und bei der Valuation haben sie aufgrund des gegenüber meinem Investment größeren Kapitalhebels mehr Macht, die gemeinsamen Investoreninteressen durchzusetzen. Sprechen wir aber von Produkt-, Markt- und Gründer Due Diligence, würde ich diese, heute, nicht mehr an einen VC delegieren: Unsere Investoren-Interessen sind zwar kongruent – alle wollen den Erfolg eines Startups – unser Risikokalkül aber ist fundamental anders.

Takeaways:

  1. Wenn Du gemeinsam mit Angels investierst, die über eine tiefe fachliche Expertise bezüglich der Produkte, Technologien oder Märkte des Zielunternehmens verfügen, sei vorsichtig! Lass’ Dich nicht von deren betriebsblinden Optimismus blenden. Es ist besser, wenn Du über eigene Expertise verfügst und Dich in jedem Fall nicht von eigenem oder fremdem betriebsblinden Optimismus leiten lässt.
  2. Bei Co-Investments mit VCs nutze die VCs unbedingt für eine für Dich als Angel vorteilhafte Unternehmensbewertung und nutze sie außerdem für die Durchführung der dann für Dich kostenlosen Legal DD. Vertraue aber nicht ihrem Risikokalkül im Hinblick auf Märkte, Produkte, Technologien und Gründer. Denn ihres ist komplett anders als Deines.

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