Analyse und Synthese, Auseinandernehmen und Zusammenbauen – für die meisten Menschen sind dies schlicht zwei Perspektiven auf einen beliebigen Betrachtungsgegenstand. Semantisch, also von der Wortbedeutung her betrachtet, ist das auch richtig. Nicht richtig wird es, wenn aus diesen komplementären Vorgängen abgeleitet würde, und meistens geschieht genau dies, dass beides einfach spiegelverkehrte oder besser, reziprok aufeinander bezogene Verrichtungen sind, für die es der gleichen Fähigkeiten bedarf: Wer das eine kann, der oder die kann auch das andere. Jedes Kind weiß dagegen, dass dem nicht so ist. Wer ein Puzzlespiel mühelos in seine Teile zerlegen kann – wer könnte das nicht ? – der oder die kann es eben nicht ebenso leicht auch wieder zusammenfügen. Zusammensetzen ist Aufbauen, Auseinandernehmen ist Zerstören.
Unternehmerisches Handeln ist synthetisch
Augenfällig wird diese Differenz auch bei der Betrachtung unternehmerischen Handelns. Während das Handeln selbst, das Machen, Entscheiden, Unternehmen, immer als synthetisches Handeln, von „Machern“, „Entscheidern“, „Unternehmern“ begriffen wird, ist die Beurteilung desselben ein >lediglich< analytisches Unterfangen. Ersteres wird daher eigentlich immer positiv konnotiert, letzteres meistens negativ, oft sogar auf eine ausgesprochen abfällige Art und Weise. Fast schon sprichwörtlich für diese Einstellung steht das Diktum, der größte Fehler, den Unternehmer begehen könnten, bestünde darin, aus Angst vor falschen Entscheidungen, zu intensivem Zweifeln, Zögern, Abwarten, gar nicht zu entscheiden, zu „unterlassen“ statt zu „unternehmen“.
Analytiker, selbst „Analysten“, betrachtet man regelmäßig als Haarspalter/innen, hyperrisikobewusste Zweifler, handlungsgehemmte Theoretiker. Unterstellt wird ihnen, sie zweifelten zu viel, sähen überall nur „schwarz“ und bekämen deswegen nichts oder zu wenig auf die Reihe. Zwar wird durchaus anerkannt, dass eine Analyse dabei helfen kann, die Dinge klarer zu sehen, doch weitaus gewichtiger ist die im Unternehmertum verbreiterte Sicht, analytische Verrichtungen seien eben primär destruktiv motiviert, sie bauten nicht auf. Und das ist eben auch eine zweifellos zutreffende Beschreibung – solange mit Destruktion nicht automatisch die pejorative Bedeutung des „nur kaputt machen Wollens“ verbunden wird.
Auch kaputt machen kann man auf unterschiedliche Weise
Ausgeblendet wird dabei allerdings, dass auch theoretische Unterfangen Handlungen sind. Sie mögen sich nicht zur unmittelbaren zur Formung von Unternehmen oder Unternehmenserfolgen eignen, doch sind die meisten Destruktionen ja durchaus zielgerichtet, haben also mindestens eine Funktion im synthetischen Kontext von Unternehmertum.
Es kommt nicht von ungefähr, dass man analytisches Tun vorzugsweise an externe Dienstleister, Analysten und Unternehmensberater delegiert. Sie haben die neutrale Sicht. Sie stehen nicht in den Handlungs- und Rechtfertigungszwängen des Unternehmers. Und ihnen lässt sich auch trefflich die Schuld geben, wenn die Analyseergebnisse zu Maßnahmen Anlass geben, die das Unternehmen dann auch nicht nach vorne bringen – ein wesentlicher Grund für die Beauftragung von Beratern aller Art.
Unternehmensberater „zerlegen“ die vor ihnen liegenden Unternehmen und deren Geschichte ja nicht wie ein blindwütiges Kind das Puzzle. Sie haben in aller Regel nicht nur das Motiv sondern auch den Auftrag, ihre Mandanten anschließend neu, besser und jedenfalls nach den Vorstellungen der eigenen Berater wieder zusammenzusetzen. Die Zeiten, in denen man Berater nur analysieren ließ, sind längst vorüber.
Jeder nicht blindwütende Analytiker ist auch Synthetiker
Erwartet wird, dass sie mit Vorschlägen kommen, wie es besser geht, und dass sie diese alternativen Vorschläge auch sogleich umsetzen. Klar, genauso wie Unternehmer und Manager, die dem Rat ihrer Berater gefolgt sind, bei Misserfolgen gegenüber den Anteilseignern ihrer Unternehmen Entlastung suchen, indem sie die Berater dafür verantwortlich machen, (ein Vorgang, den auch die Exekutive der öffentlichen Hand vis à vis uns Steuerzahlern zu schätzen gelernt hat, obwohl man ja beiden vorwerfen könnte, sie hätten sich schlecht beraten lassen), genauso kann der Berater umgekehrt argumentieren, sein Rat sei nicht nur teuer, sondern auch gut gewesen, nur hätte das Unternehmen leider das falsche Personal, zu geringe Mittel, zu wenig Zeit etc. bereit gestellt, um das erwartete gute Ergebnis sicher zu stellen.
Halten wir fürs erste fest: Synthese und Analyse gibt es in der Welt der Macherinnen und Macher genauso wie in der theoriegeprägten Welt der Analystinnen und Analytiker. Sobald letztere eine Position beziehen, zerstören sie nur mit der linken Hand, um mit der rechtenetwas neues, aus ihrer Sicht besseres aufzubauen oder mindestens dazu den Bauplan zu liefern.
Wer nur analysieren möchte, ist tatsächlich nur destruktiv
Spannend ist nun die Frage, ob diejenigen, die in der „Welt der Theorie“ nur analytisch, also aus Sicht der Praxis-Welt destruktiv unterwegs sind, genauso „unfähig“ für große Erfolge sind, wie dies für die Welt der Praxis, wahrscheinlich zu Recht, unterstellt wird.
Nach meinem Eindruck kann man das bejahen. Denker, die das, was schon gedacht wurde, nur kritisch reflektieren, sind solche, denen es an einem eigenen Standpunkt, einem eigenen theoretischen Ziel oder Fluchtpunkt mangelt. Sie kritisieren und analysieren sich „zu Tode“, indem sie ihre Gegenstände aus ganz unterschiedlichen Perspektiven immer nur mit Blick auf die Schwächen beleuchten. Demgegenüber sind Theoretiker, die einen bestimmten Standpunkt einnehmen, zu diesem auch stehen und ihn mehr oder weniger ausdrücklich bekennen, vor dieser Gefahr gefeit. Sie erkennen rote Linien und sind mit dem Blick auf ihr eigenes Theorieziel in der Lage, gegnerische Positionen kritisch zu reflektieren, ohne Gefahr zu laufen, sich dabei selbst ein Bein zu stellen.
Allerdings gilt für beide Welten, die der Theorie wie die der Praxis, auch: Wer die Risiken des eigenen Handlungs- oder Denkwegs komplett ausblendet, der handelt fahrlässig oder „tollkühn“. Etwas zu Tode analysieren, nur noch Risiken wahrzunehmen ist das eine, gar keine mehr suchen zu wollen, nur noch an den eigenen Erfolg zu glauben, ist zwar anders, doch deswegen auch nicht besser.
Risiko Manager, Compliance Officers, Buchhalter, kurz: alle besonders risikoaffinen Personas in Theorie und Praxis haben ihre Berechtigung solange sie die Vertriebler, Marketers, Produkt- und Unternehmensentwickler, und F+Eler nicht über Gebühr blockieren und hemmen. Für die angemessene Höhe dieser „Gebühr“ gibt es leider kein Patentrezept.
Fazit: Die zielgerichtete Analyse ist besser als ihr Ruf
Das Vorstehende ist möglicherweise wohlfeil und wenig originell. Doch darauf kommt es nicht. Worauf es mir ankommt ist das Aufräumen mit den Vorurteilen, a) Theoretiker (Analystinnen/ Analytiker) blockierten fast immer nur die Praxis und b) die Praxis sei im Unternehmen – immer – der kritischen, also analytischen Reflexion vorzuziehen. Daher noch einmal:
Erstens: Wer mit Lego ein Phantasie-Universum baut, oder auch nur sein oder ihr eigenes Haus nachbaut, der oder die verfügt über wichtigere, wertvollere Fähigkeiten als die oder der, die das Universum bzw. Haus nur wieder in ihre Teile zerlegen und bausteingerecht zu den passenden anderen Bausteinen verwahrt zurücklegen können.
Zweitens: Dennoch ist letzteres sehr hilfreich, da es ohne diese Tätigkeit anschließend nicht möglich wäre, jedenfalls nicht in vergleichbarer Zeit, mit den gleichen Bausteinen ein neues, noch schöneres Universum oder Haus zu bauen.
Drittens: Wer das Legospiel so auseinandernimmt, dass er oder sie das nächste Lego-Universum oder -Haus schneller und besser errichten kann, der oder die handelt nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch. Er oder sie kann beispielsweise ganze Bausteinsorten aus dem Baukasten entfernen, weil die für ihr oder sein Vorhaben künftig nicht gebraucht werden. Das verschafft mehr Übersicht, erlaubt mehr Konzentration auf das kreative, synthetische Geschäft und spart insofern Zeit und Energie. Ein solches analytisches Handeln ist damit selbst auch synthetisch, nämlich auf ein „konstruktives“ Ziel gerichtet.
Ausblick: Für Business Angels ist Analyse das Kerngeschäft
Im nächsten Post werde ich >analysieren<, wie konstruktiv oder destruktiv es ist, wenn Business Angels ihre Zielunternehmen „auseinandernehmen“ um sie dann wieder zusammenbauen zu wollen. Wer mich inzwischen kennt, wird ahnen, welche Position ich hier einnehme. Doch mir geht es um mehr: Ich möchte zeigen, wie extrem hilfreich auch sehr einfach gestrickte Standard-Analyse-Werkzeuge sein können, um den wahrscheinlichen Erfolg oder Misserfolg von Gründungsvorhaben zu beurteilen – ohne dass es deswegen erforderlich wäre zu wissen, wie genau das betreffende Unternehmen zu seinem Erfolg kommen wird, was grundsätzlich, also prinzipiell schlechterdings unmöglich ist.
Als Business Angel muss ich nicht zwingend wissen, wie sich ein StartUp verhalten muss, um zu Erfolg zu kommen. Ich kann es ja sowieso nicht, da mir die Unwägbarkeiten der Zukunft verborgen bleiben. Wer hätte vor nur zwei Jahren nicht gedacht, Reiseverkehr und Tourismus sei ein Evergreen – Urlaub werde man immer machen. Und wer hätte vor nur einem Jahr gedacht, das maritime Container und Logistik-Geschäft sei im Folgejahr die Boombranche schlechthin? Es könnte ausreichen nur zu wissen, über welche Voraussetzungen ein StartUp verfügen muss, um zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit später Erfolg zu haben. Als Angel analysiere ich meine Ziel- und Portfoliounternehmen mit dem ausschließlichen Ziel meiner eigenen Rendite.
Es ist deswegen durchaus zielführend, in Gedanken zunächst nur destruktiv zu sein, um aus allen nur möglichen Blickrichtungen der Risiken gewahr zu werden, die mein Target gewärtigen muss. Und es ist ebenso zielführend, anschließend, zu analysieren, welche materiellen, intellektuellen und sonstigen Ressourcen bereit stehen (sollten), um a) meinen wirtschaftlichen Erfolg wahrscheinlich zu machen und b) die identifizierten Risiken auf dem Weg dorthin zu umschiffen oder auszuräumen.