Die Würfel sind gefallen:
Ein Hoch auf die Ampel

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Ein Hoch auf die Ampel
Die Würfel sind gefallen, die neue deutsche “Ampel” – Koalition steht

Die neue Bundesregierung kann loslegen. Ich hatte ursprünglich, vor der Wahl, einen anderen Wahlausgang befürwortet, muss jetzt aber zugeben: Es ist gut –  so, wie es gekommen ist. Wir haben eine neue tatendurstige Bundesregierung. Und wir haben, vor allem, eine Regierung, die die Freiheit des Individuums höher achtet, als die letzte dies tat. Auch gut ist, dass sich in dieser Regierung eine Partei ganz besonders der Freiheit des einzelnen verpflichtet sieht, während die beiden anderen explizit und pointiert die Freiheit der Gesellschaft insgesamt priorisieren.

Freiheit der wenigen vs. Freiheit aller:
Ein alter Spannungsbogen in neuem Format

Zumal die Freiheit nur einiger weniger zu Lasten der vielen ist in ihren Augen nicht nur ungerecht, sondern selbstzerstörerisch für die Freiheit insgesamt. Beide Prioritäten markieren den traditionellen Spannungsbogen zwischen „ rechts“ und „links“. Natürlich finden sich auch in der bisherigen Kanzlerpartei beide Positionen. Doch es ist besser, wenn diese Spannung in einer Koalition ausgetragen wird. Nur so kann Freiheit immer wieder als Trade-off zwischen den Interessen einiger weniger, in der Regel wirtschaftlich besonders Aktiver und den Ansprüchen der vielen anderen öffentlich ins Bewusstsein treten. Nur durch den Diskurs im öffentlichen Raum ist der stets prekäre Status der Freiheit immer wieder aufs Neue für alle seh- und hörbar.

In den „Hinterzimmern“ der alten Volksparteien war es leise um sie geworden. Dort wurde sie stets still und leise ausverhandelt, um anschließend als scheinbar selbstverständlicher Minimalkonsens gar nicht erst in das bewusstsein der Bürger zu treten. Wenn über Freiheit wenig oder gar nicht öffentlich gesprochen wird, dann ist sie irgendwann vergessen. Auch deswegen begrüße ich, nach meiner ursprünglich jamaikafreudigeren Skepsis, den Ausgang dieser Wahl.

Social Media betreiben keinen öffentlichen Raum

Natürlich kann man den Standpunkt vertreten, die Heimlichkeit der Hinterzimmer sei in Zeiten des Netzes und der sozialen Medien eh längst obsolet geworden. Dass die Koalitionsverhandlungen tatsächlich geheim abliefen, war ja nur eine bemerkenswerte Ausnahme von der Regel. Mag sein. Doch was aus den Hinterzimmern dann über soziale Kanäle nach außen an die Öffentlichkeit dringt, sind fast immer nur stark vereinfachte, Reichweiten und Emotionen weckende, die Komplexität vernünftiger Argumente unterschlagende Zuspitzungen, die die tatsächlichen Diskussionen in keiner Weise widerspiegeln. Nicht umsonst hat sich Robert Habeck aus Twitters HashTag-Welt verabschiedet.

Politische Talkshows dagegen schon

Den vergleichsweise fein ziselierten Argumenten eines Robert Habeck, eines Christian Lindner oder eines Karl Lauterbach bei Talkshows verstehend zu folgen, kann ja auch anstrengend sein.
Es lohnt aber. Auch schaffen Talkshows die thematischen Grundlagen, um anschließend z.B. in den Printmedien Verlängerung zu erfahren. Erst so finden relevante Themen und die zugehörigen Positionen und Argumente dann Eingang in die Debatten unter Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen. Ein Post bei Twitter, Insta- oder Telegram wird so gut wie nie verbal in eine echte Diskussion überführt. Es lohnt ja einfach fast immer nicht.

Und man gewinnt außerdem den Eindruck, Lieschen Müller und Hans Mustermann im Netz seien gar nicht identisch mit Lieschen Müller und Hans Mustermann in der analogen Wirklichkeit. Tatsächlich sind regelmäßig lediglich Menschen mit eher überschaubarer Auffassungsgabe in beiden Welten, der analogen und der digitalen, zu praktisch 100 Prozent kongruent. Sie werden dann ja auch in einer unmittelbaren Weise erreicht, die für die analoge tatsächlich gefährlich werden kann. Siehe ‚Querdenker‘, Reichbürger usf.

Nur eine Freiheit, um die gestritten wird, ist eine gute Freiheit

Halten wir also als Zwischenfazit fest, dass wir

  1. angesichts einer Gegenwart, in der die Freiheit sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Gesellschaft wirklich massiv unter Beschuss steht, froh sein sollten zu wissen, dass sich die neue Bundesregierung und die sie tragenden Parteien dieses Drucks und der daraus resultierenden Gefahren bewusster sind als die alte und dass diese Regierung

  2. die Spannung zwischen den Polen
    • einer ziemlich limitierten Freiheit möglichst vieler und
    • einer möglichst großen Freiheit für nur einige wenige

nicht nur zwangsläufig aushalten können, sondern im Wettstreit untereinander sogar gerne austragen können möchten sollte und mutmaßlich auch wird. Nach nicht einmal einer Woche Regierungszeit erkennen wir bereits an der koalitionsinternen Diskussion zum Infektionsschutzgesetz und an der außenpolitisch offen debattierten Frage, wie diskussionsfreudig in der Koalition mit Chinas Missachtung der Menschenrechte im Lichte der bevorstehenden Winterolympiade und mit Russlands Aggressionen im Zusammenhang der weiterhin strittigen Gaslieferung durch Nord Stream 2 umgegangen werden soll. Dass über all dies kontrovers und auf offener Bühne gerungen wird, ist ein Glücksfall. Und der eben wäre in einer anderen Konstellation eher unwahrscheinlich gewesen.

Was hat das alles mit StartUps zu tun?

Und was hat dieses ganze Thema in einem Blog zum deutschen StartUp Ökosystem zu suchen?

Eine ganze Menge. Auch unter StartUps, VCs und Business Angels wurde der Wahlausgang und das, was bis jetzt daraus geworden ist, überwiegend ziemlich euphorisch begrüßt.

Trotzdem überrascht ein wenig, dass Christian Lindners beinahe erste öffentlich gewordene Amtshandlung als neuer Finanzminister darin bestand, in einem Tweet zu erklären, er habe bei einem Gespräch mit seiner spanischen Amtskollegin, „die Förderung von StartUps“ zur Sprache gebracht. Er werde die „Mitarbeiterkapitalbeteiligung im Vergleich zum Status quo deutlich verbessern“.

Man darf annehmen, der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wird dies als Grenzverletzung des „Ermöglichungsministers“ Lindner wahrgenommen haben. Denn Finanzpolitik ist nicht unmittelbar Wirtschaftspolitik. Hatte Christian Lindner, der Schelm, seinem neuen Kollegen Robert Habeck dieses Ei bewusst ins Nest gelegt (wohl wissend, dass dieser sich ja von Twitter verabschiedet hatte, also gar nicht adäquat reagieren konnte) ? „Anstelle“ Habecks reagierte dann der Venture Capitalist, Miele – Erbe und Vorsitzende des deutschen StartUp – Verbandes Christian Miele auf Lindners Tweet. Er bezeichnete diesen als „eine starke Ansage“. Gleich und gleich…

Wie dem auch sei: Es wird jedenfalls demnächst im Umfeld des Gründermilieus hitzige Diskussionen zwischen Grünen und Liberalen geben. Ihre Ressorts sind in den startUp – relevanten Themenfeldern dominant. Und nirgends ist die oben angesprochene Frage der großen Freiheit einiger weniger vs. der begrenzten Freiheit der meisten anderen so virulent und zukunftsentscheidend wie hier. Es erwarten uns spannende und wichtige öffentliche Diskussionen. In den folgenden Posts werde ich diesen Spannungsborgen innerhalb unserer StartUp –  Welt ein wenig genauer unter die Lupe nehmen.