Innovatorenquote im deutschen Mittelstand alarmierend niedrig

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Einer aktuelle Studie der KfW zufolge, ist die „Innovatorenquote“ im deutschen Mittelstand alarmierend niedrig. Als „Innovatoren“ werden solche Unternehmen bezeichnet, die innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren mindestens eine Innovation hervorgebracht haben. Zwischen den Zeiträumen 2002-2004 und 2016-2018, also innerhalb von nur 15 Jahren, hat sich diese Quote im deutschen Mittelstand von 42 Prozent der Unternehmen auf 19 Prozent mehr als halbiert. Von der Tageszeitung „Die Welt“, die am vergangenen Samstag (22.02.2020) unter der Headline „Verliert der Mittelstand den Erfindergeist?“ darüber berichtete, wird die Chefvolkswirtin der KfW Fritzi Köhler-Geib mit den Worten zitiert: „Für die Zukunftsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist das eine gefährliche Entwicklung.“ Sie dürfe sich nicht „auf ihrem technologischen Vorsprung ausruhen, sondern müsse ihre Vorreiterrolle sichern und Zukunftstechnologien entwickeln.“

Berater haben Grund an sich zu zweifeln

Für die KfW, die als größte deutsche Förderbank ein nicht unmaßgeblicher Innovationstreiber ist, dürfte diese Quote Anlass zu Selbstzweifeln geben. Noch mehr Grund zu solchen Zweifeln hätte allerdings die Beraterzunft. Es nimmt daher nicht Wunder, dass gerade beraterseitig gegen die Studienergebnisse sogleich kräftig geschossen wurde. Strategie- und IT-Berater verdingen sich als Problemlöser – für Probleme, die sie oft selbst erst zu solchen stilisiert haben. Keine Branche ist so erfolgreich dabei, die berühmte deutsche angst als Vehikel zur Akquisition neuer Mandate einzusetzen: „Lass Dich nicht abhängen!“, „Gründe einen Accelerator!“ „Werde agil!“ Hat ein Mittelständler dann drehbuchgerecht ihren Rat gesucht, dann, so die Verheißung, gehören solche Innovationsdefizite in diesem Unternehmen der Vergangenheit an. Der CEO der Schwabinger Munich Strategy GmbH & Co. KG, Sebastian Theopold, wehrt sich also folgerichtig in dem WELT-Artikel mit den Worten: „Innovation ist anno 2020 etwas anderes als noch vor 50 Jahren. Wir sehen gerade eine neue Generation an Unternehmern, meist zwischen 30 und 50 Jahren, die mit der produktzentrierten Sichtweise brechen und Innovation weiter denken.“ Sie stellten, sagt Theopold, „die Unternehmen ihrer Väter und Großväter auf den Kopf, auf der Suche danach, was die Kunden wirklich glücklic macht” und setzten „Technologien an der richtigen Stelle ein“, indem sie „völlig neue Geschäftsmodelle“ entwickelten.

Das ist Berater-Speak par excellence und unterstellt, die „produktzentrierten“ Lösungsansätze der Väter und Großväter hätten die Kunden damals nicht glücklich gemacht, weil sie Innovation „zu kurz“ gedacht hätten. Das Gegenteil ist aber der Fall, sonst wären viele dieser Unternehmen nicht an der Weltspitze verblieben, zu der sie sich dank überlegener Produkte eben nicht nur hin entwickelt hatten, sondern an der sie sich dank innovativer Fertigungstechnologien und gewiss auch zeitgemäßer Geschäftsmodelle und Vermarktungsmethoden bis heute halten konnten.

Auch eine Trigema verkauft heute mehr als 15% ihrer Textilien online und verschickt keine Kataloge mehr. Doch dazu bedurfte es nicht eines Beraters, sondern vor allem etwas gesunden, bodenständigen Menschenverstand. Herr Grupp würde im Zweifel nicht von „Performance Marketing“ sprechen, sondern von Direktmarketing, wenn er seine Trikots elektronisch an die Frau oder den Mann bringt. Und interessanterweise sieht Herr Grupp bis heute keinen Grund, seinen stationären Filialbetrieb einzustellen oder auf die Tankstellenbelieferung zu verzichten. Soviel zum digitalen „auf den Kopf stellen“. Erstaunlich erfolgreich bleibt er dabei dennoch.

Cleverness und Sturheit

Besinnt man sich darauf, dass ‚der‘ deutsche Mittelstand bis heute im In- und Ausland quasi-synonym mit ‚Hidden Champions‘ gedacht und verwendet wird, also mit den Herrenknechts, Trumpfs, Trigemas und Würths dieser Welt, die ihren Erfolg allesamt gleichermaßen der Solidität ihrer Geschäftsmodelle und der Cleverness und bisweilen auch dem Starrsinn (neudeutsch: „Resilienz“) ihrer Gründer verdanken, dann nimmt sich die Verteidigungslinie von Herrn Theopold wunderlich aus. Doch lassen wir für einen Augenblick die Polemik und stellen ernsthaft die Frage, ob der Befund der KfW-Studie zu dem Schluss einlädt, die wahren Innovatoren im heutigen Mittelstand seien eben in erster Linie digital befeuert und würden, sozusagen in falscher Bescheidenheit, ihre Geschäftsmodelle versehentlich nicht als „Innovationen“ begreifen. Dagegen wären folgende Einwände vorzubringen:

1. Das Berater-Geschäftsmodell steht mit echten Innovationen auf Kriegsfuß

Strategie- und IT-Berater wollen und müssen für ihr eigenes Beratungsgeschäft Skalenenffekte realisieren, weshalb sie ihre Mandanten, die Mittelständler, gerade nicht zu wirklichen Innovationen antreiben, sondern eher dazu, ihr Berater – „Schema F“, angepasst an das jeweilige Mandanten-Kerngeschäft, zu verkaufen.

Doch als innovativ kann man sinnvoll und semantisch korrekt nur etwas bezeichnen, das nicht nur im Unterscheid zu bereits Bestehendem neu, also andersartig ist, sondern neu auch gegenüber gleichzeitig neu eingesetztem, also beispielsweise gegenüber einer ‘neuen’ Beratermethode, die n-fach auch an anderer Stelle zum Einsatz gelangt. Ohne dieses Alleinstellungsmerkmal oder ohne eventuell zusätzliche flankierende Mehrwerte wie Preisvorteile oder besondere Vertriebspower würde dieses Neue kaum Chancen haben, sich gegenüber gleichermaßen Neuem dauerhaft durchzusetzen. Wenn alle Händler mit den gleichen AWS-Tools elektronisch verkaufen oder auf tradierte eigene Server verzichten, wenn alle Industrieunternehmen die gleichen Roboter einsetzen und alle Anlagenbauer ‚ die gleichen predictive maintanance‘ – Sensoren verkaufen, dann wäre das im besten Fall vernünftig, aber sicherlich nicht innovativ.

Und so kommt es nicht von ungefähr, dass nicht wenige Mittelständler „irgendwas mit KI“ machen, weil „man“ das halt heute „so macht“, weil es alle machen und weil man dazugehören und mit am Tisch sitzen möchte. Für Strategie- It- und Innovationsberater ist das prima, für die betreffenden Unternehmen eigentlich nur teuer.

2. Auch Software will budgetiert sein

Zugegeben: Software lässt sich im Regelfall nicht patentieren. Wer also innovative Software entwickelt oder zumindest nutzt, könnte also innovatov unterwegs sein. Außerdem liegt Deutschland in Punkto Patentanmeldungen europaweit an der Spitze und auch weltweit hinter den USA aber vor China und Korea ganz vorne. Allein: Das Gros der Anmeldungen kommt aus den Konzernen. Siemens liegt in Deutschland mit weitem Abstand an der Spitze. Und selbst wenn wir unterstellen, die Digitalisierungsanstrengungen ‚der‘ Mittelständler seien alle innovativ, wird man nicht umhin kommen einräumen zu müssen, dass diese Innovationen zulasten von kerngeschäftsnäherer Grundlagenforschung, Produktentwicklung und unternehmensübergreifenden mittelständischen Forschungskooperationen gehen. Auch Software kostet Geld. Und mehr noch: Wenn Software bereits ‘innovativ’ gehandhabt wird, wenn Prozesse ‘innovativ’ in die Cloud ausgelagert wurden oder ‘innovativ’ an künstliche Intelligenz ausgelagert wurde, dann wäre es ja um so überrschender und auch alarmierender, dass trotz der gehobenen Einsparpotenziale sowenig kerngeschäftsnahe Innovation im Mittelstand aufzufinden ist, wie die KfW-Studie ja feststellt.

3. Silicone Valley-Lösungen taugen nicht für ‚den‘ Mittelstand

Der oben zitierte Sebastian Theopold erklärte in der WELT außerdem, der deutsche Mittelstand orientiere sich bereits an den Firmen im Silicone Valley, die „in der Regel” auch keine neuen Produkte erfänden, sondern „mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen erfolgreich” seien. Doch dieser Glaube, der Mittelstand müsse sich vom Silicone Valley inspirieren lassen und tue dies auch bereits erfolgreich, geht in die Irre.

Die für das Valley emblematischen Firmen Alphabet, Amazon, Apple und Facebook sind Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Größe setzt, die Größe der Nutzerzahl, die Größe der Zahl der über die Nutzer gewonnenen Daten und der Größe der Nachfrage nach diesen Daten durch die Werbewirtschaft. Dieses Geschäftsmodell steht in keinerlei sinnvollem Bezug zu den – im Einzelfall sicherlich reformbedürftigen – Geschäftsmodellen der deutschen Mittelständler, deren Alleinstellung überwiegend von einer herausragenden und nachgefragten Qualität ihrer Produkte und einem daraus resultierenden hohen Verkaufspreis gekennzeichnet sind. Größe ist sicherlich gerade nicht das bestimmende Merkmal des German Mittelstand. Und so wird es sicherlich so sein, dass manche seiner Produkte, wie die KfW-Studie nahelegt, beispielsweise in Ansehung der 3D-Drucktechnologie, in absehbarer Zeit nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden. Doch sicherlich ist es falsch zu meinen, Skalierbarkeit à la Palo Alto, also minimale Grenzkosten bei massenhaftem Output, sei gerade für diese Unternehmen der probate Weg, um auch in Zukunft weltweit führend sein zu können.


Digitalisierung ist nicht ‚Zweck‘, sondern ‚Mittel‘

Wenn wir die KfW-Studie ernst nehmen – und das sollten wir tun – dann ist bestimmt nicht alles gut im deutschen Mittelstand. Mittelständler sollten sich dennoch gerade ihre Produkt- und Fertigungskompetenz bewahren und nicht meinen, die Zeit sei über sie hinweggeschritten. Digitale Hilfsmittel von der künstlichen Intelligenz bis zur elektronischen Distribution können Mehrwerte von der Produktentwicklung über die Fertigung bis zur Vermarktung und Distribution stiften. Doch mit Ausnahme der überall ähnlichen administrativen Prozesse, dem Finanzwesen und dem Controlling, können diese Mehrwerte eben nur zum Tragen kommen, wenn die Kernwerte geschätzt, entwickelt und mittelstandsgerecht inszeniert werden. Wer meint, „das auf den Kopf Stellen der Unternehmen der Väter und Großväter“ sei per se schon innovativ, der hat nicht verstanden, dass Innovationen kein Selbstzweck sind oder, anders formuliert, dass sie so lange nicht wirklich diesen Namen verdienen, wie sie Selbstzweck sein wollen oder sollen.