Metaverse und die alte Frage nach der Wirklichkeit

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Donald Trump als geistiger Vater des Metaverse
Metaverse  Wirklichkeit
Trump und seine Entourage haben der ‘verstaubten’ Philosophie eine unerwartete digitale Renaissance beschert

Metaverse und die alte Frage nach der Wirklichkeit

Ausgerechnet Donald Trump hat mit Leuten wie Kellyanne #Conway und ihren alternativen Fakten sowohl der kontinentaleuropäischen als auch der analytischen Philosophie eine neue Hochkonjunktur beschert.

In den Achtzigern und Neunzigern des letzten Jahrhunderts stritten sich unter den philophischen Gelehrten die Realisten, Antirealisten und Idealisten um den stringentesten Begriff der Wirklichkeit. Sie wurden sich nicht einig; jeder hatte gute Argumente gegen den anderen, ohne jemals die eigene Position unangreifbar machen zu können.

Mit Metaverse könnte sich das ändern. Knüpften besagte Philosophen im letzten Jahrhundert noch an Platon (Idealist), Aristoteles (Realist) oder auch Kant (Hybrid) an, darf man es heute mit dem orangefarbenen kleinen Gott des geistigen Hades halten. Denn was wahr oder unwahr, wirklich oder fake ist, das ist inzwischen zu einer Funktion pragmatischer τέχνη (téchne) geworden, des gekonnten Umgangs mit Unreal oder Unity.

Auch im Metaverse gibt es keine wie auch immer geartete empirische, sich den Sinnen und der Vernunft zunächst widersetzende und nur mühsam von diesen zu erobernde Sinneswelt. Die Welt wird auch hier schlicht gemacht, als Welt bestehend aus gemachten und nicht etwa entdeckten oder erkannten Fakten. Im Metaverse wird die theoretische Venunft überflüssig. Die praktische reicht aus. Nur ihre Macher selbst müssen sich noch ein wenig mit der “natürlichen” Wirklichkeit abgeben.

Trotzdem wird heute von StartUps und Entwicklern im Mixed Reality – Umfeld zur Nobilitierung des eigenen Tuns gern ein Derrida, Deleuze, Spinoza oder Kant aus dem Zitate-Hut gezaubert. Das kommt schick: “The virtual is not material, but real.” wurde z.B. Gilles Deleuze, natürlich ins Englische übersetzt, von einem norddeutschen StartUp – Festival auf einer einladenden Postkarte zitiert, bei dem auch MR – Zauber präsentiert wurde. Und tatsächlich: Mit VR und AR erfahren Ontologie, Ethik und Ästhetik ja tatsächlich neue Aktualität und Brisanz. Was real ist und was “nur” imaginär, diese Frage war noch nie eindeutig beantwortbar. Doch heute merkt es eben jeder, der sich eine Oculus vor den Schädel klemmt.

Was ich allerdings vermisse, ist eine Antwort auf die superschlichte Frage, von welchen Realitäten gesprochen wird, wenn einerseits von einer erweiterten und andererseits von einer virtuellen, also imaginierten bzw. digital konstruierten die Rede ist. Ganz sicher soll die “erweiterte” die nicht erweiterte ergänzen, wohingegen die virtuelle diese nur ersetzt. Worin aber eine weder erweiterte noch ersetzte Realität besteht, was da also eigentlich erweitert oder ersetzt werden soll, das verraten uns die Zauberer nicht. Kann man das nicht definieren, dann weiss man auch nicht, wo die virtuellen oder augmentierten Realitäten anfangen und wo sie aufhören. Das schicke Wortgeklingel löst sich im Diffusen auf.

Im Metaversum, zugegeben, kennt man dieses Problem nicht. Denn dort gibt es dieses wunderbare virtuell-reale Kontinuum, das eine Unterscheidung unnötig macht. Im Metaverse bestimmen diejenigen, die diese Welt bauen, was real ist und was nicht. Wirklichkeit wird zu einer Funktion der bestimmenden Marktmacht und der logischen Konsistenz. Empirie war einmal. Viel Spaß!