Role Model Start-up

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Role Model Start-up

Start-ups sind hip…

Egal zu welcher politischen Farbe man sich hingezogen fühlt, Start-ups sind irgendwie immer und für jeden „geil“ und für alles gut, was wir mit Modernität, Fortschritt, Trendiness und Zukunft verbinden.  

Ulf Poschardt schrieb am Wochenende in Welt am Sonntag, die CDU müsse „wieder zu dem die Mitte beglückenden Start-up werden, das sie einst war.“ Das Handelsblatt titelte am Freitag vor dem Hintergrund der deutschen Konjunkturdelle bzw. Rezession: „Deutschland braucht ein neues Geschäftsmodell“. Gemeint waren: Weniger „Klumpenrisiko“ durch die Abhängigkeit von Chemie, Automobil- und Maschinenbau und mehr Investitionen in marode und im internationalen Vergleich nachgerade vormoderne Infrastrukturen. „Geschäftsmodell“ ist zwar kein Begriff, der nur in der Startup-Landschaft Anwendung findet, aber er hat erst durch Start-ups zu seiner heutigen Beliebtheit gefunden. Und wie viele andere Fachbegriffe, die plötzlich Gemeingut werden, versteht jeder etwas anderes unter diesem Terminus. (Das ist sogar bei den VCs und Start-ups selbst so.)

„Blut, Schweiß und Tränen”

Bedenkt man, dass sich das Gründerdasein vor allem durch „Blut, Schweiß und Tränen“ auszeichnet, also durch harte materielle wie immaterielle Entbehrungen, durch ebenso hartes pausenloses Arbeiten, durch Schlafentzug, durchwachte Nächte, Existenzangst, Disstress und eine extrem hohe Risikobereitschaft nicht allein zu Lasten der Gründer selbst, sondern auch zu Lasten derjenigen, die den Gründern als „family & friends“ am nächsten stehen, durch Zumutungen gegenüber jedermann also, dann frage ich mich schon, wie seriös sich diejenigen, die das Start-uppen als Role Model für Parteien, Staaten oder Gesellschaften propagieren und „megageil“ finden, mit dem Alltag dieser Menschen auseinandergesetzt haben.

Gründer-Dasein aus Parteien-Sicht

Bertrachtet man den Gründeralltag durch eine Parteienbrille, dann lässt sich, je nach Partei und leicht reduziert, einer der folgenden Sachverhalte konstatieren:

Für das linke Parteienspektrum sind Gründer kontrafaktische Existenzen, Personen, die es eigentlich nicht geben kann. Denn sie „beuten” nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst „aus“, (wenn sie sich seltsamerweise auch nicht selbst entfremden) und sie pfeifen auf „Solidarität“, weil sie die, von f&f („family & friends“) abgesehen, weder von anderen erwarten, noch selbst zu geben imstande sind.

Für die politische Mitte ist das Denken und Handeln von Gründern zu eigensinnig, rebellisch und vor allem: zu wenig gemeinwohlorientiert.

Das rechte Spektrum klammere ich einmal aus, es markiert auch in diesem Kontext eine intellektuelle Leerstelle.

Bleiben die Liberalen. Tatsächlich ist die Kongruenz von FDP- und Gründerpositionen innerhalb der deutschen Parteienlandschaft am deutlichlichsten ausgeprägt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Christian Lindner selbst eine Start-up-Vergangenheit besitzt und nicht müde wird, Innovationsfreude für sich und seine Partei quasi exklusiv zu reklamieren. Allerdings ist es lustig, dass ausgerechnet diese FDP, die die Stärke der Individuen proklamiert und im Staat tendenziell eine unbedingt zu bremsende Macht sieht, eine Macht, die das Individuum zu entmündigen trachtet, fruchtbaren Wettbewerb unterminiert und möglichst viel Fortschritt und Freiheit für alle strukturell zu behindern sucht, dass diese FDP von diesem Staat fordert, er möge den Gründern besser und wirksamer „unter die Arme greifen“. Das nennt man performativen Widerspruch. Neulich saß ich übrigens, nur durch einen Gang getrennt, mit Robert Habeck im Zug, ohne es zu merken.

Ich merkte es erst, als er von einem diagonal vor ihm sitzenden Vertriebler einer Event-Agentur mit der Frage angegangen wurde, ob er für einen – natürlich bezahlten – Vortrag zu erwärmen sei. Habeck, unentwegt auf sein Notebook hämmernd und nach Optik und Habitus der idealtypische Klischee-Gründer, blickte nur kurz und leicht irritiert auf, um dann situationsgerecht knapp, leicht unterkühlt aber höflich zu antworten, er können dies, wenn überhaupt, nur unentgeltlich oder gegen Spenden für einen guten Zweck tun und der Herr möge sich doch bitte mit seinem Büro in Verbindung setzen. Kein Wunder, dass die Grünen laut einer unlängst von Gründerszene veröffentlichten Umfrage, dabei sind, die FDP als bevorzugte Partei abzulösen.

Gründer taugen nicht als Vorbilder

Gründer taugen also nicht als Vorbilder oder lebende Litfaßsäulen für Parteien und ihre Programme. Diese müssen in der politischen Willensbildung kleinste gemeinsame Hauptnenner darstellen, da sie sonst nicht genug Zuspruch bekommen, um die repräsentative Demokratie am Laufen zu halten. Echte Gründer dagegen sind tatsächlich individuell, im besten Sinne des Wortes „sehr speziell“ und damit unter kein Dach subsummierbar. Daher sind auch all die Ratschläge, all die Hand- und Lehrbücher, die von den Angestellten der Deutschen Industrie und Handelskammern oder von den Wirtschaftsförderern der Länder und Kommunen unter potenziellen Gründern verteilt werden, ein Witz. Sorry, aber erfolgreiche Gründer suchen keinen Rat bei Angestellten und Beamten. Und auch keinen bei Beratern. Im Übrigen sind gute Gründer außerdem vor allem (und vielleicht mehr als ein Normalverbraucher) auch eines: Voller menschlicher Fehler, mit denen sich keine Partei schmücken und mit denen kein Staat „Staat machen“ wollte, würden sie sie wirklich kennen.

Der oder die mit den größten Stärken ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der oder die mit den größten Schwächen

Der amerikanische, von mir immer wieder gern zitierte Serial Entrepreneur und Gründer des großen amerikanischen VC-Fondsmanagers Andreessen Horowitz, Marc Andreessen, brachte es auf diese durch und durch zutreffende Formel: „Die Unternehmen mit den wirklich extremen Stärken besitzen häufig auch gravierende Schwächen. Eine der zur Vorsicht mahnenden Lektionen des VC-Gewerbes lautet, dass man, wenn man nicht im Wissen um solche Schwächen zu investieren bereit ist, dann auch nicht erwarten kann, in die meisten der großen Erfolge investieren zu können.“

Warum also sind Start-ups dann so hip?

Wenn die Dinge so liegen, wie ich hier behaupte: Wieso finden dann alle Start-ups und „junge” Gründer so toll, wollen ihnen den Boden bereiten, ihnen einen Plattform geben, ihnen irgendwie ähnlich sein? Es ist ja noch nicht lange her, da betrachtete ein gewisser Franz Müntefering die Protagonisten alternativen Geldanlagen, Hedge und Private Equity Fonds, als Heuschreckenplage.

Ich glaube, es liegt an der bezwingenden „Ästhetik” des Erfolges. Und es liegt natürlich auch daran, dass es uns die sozialen Medien so leicht machen zu glauben, absolute Ausnahmeerscheinungen wie Gates, Jobs oder Zuckerberg seien wie „Du und ich” und sie seien gleich nebenan. In den Köpfen aller werden Gates, Jobs und Zuckerberg als personifizierte Synonyme von Gründern und ihren Start-ups gehandelt. Dabei ist das Gros der Start-ups eben gar nicht besonders erfolgreich.

Doch für Politik und Öffentlichkeit spielt das keine Rolle. Im Auge der Öffentlichkeit hat sich der Eindruck festgesetzt, alle Gründer seien jung, dynamisch, cool und erfolgreich. Und leider, leider sind es nicht nur Hinz und Kunz, die neben jedem Starbucks ein Einhorn hervorlugen sehen, sondern es sind auch viele Möchtegern-Erfolgreiche, die sich von diesem schönen Bild bewegen lassen und dem goldenen sozialen Medienschein das analoge menschliche Antlitz des vermeintlich mühelosen Erfolgs liefern. Den schönen Schein kann und will jeder sehen. Wer will sich schon mit „Losern” ab- oder umgeben oder auch nur befassen? Scheitern findet, wie das Sterben, nicht-öffentlich statt. Es sei denn, es handelt sich um einen spannenden, schönen Heldentod. Doch das ist ein Fehler. Denn nach dem Scheitern kann man eben wirklich wieder aufstehen. Es ist nicht nur Gründer-Folklore, dass Scheitern auch stark machen kann. Dass man dagegen nach dem Tod „wieder aufstehen” kann, darüber wird man trefflich streiten können…