Über Schneebälle

jvhNew articles

Schneebaelle
Schneebälle

Schneebälle

Mehr zu versprechen als man tatsächlich halten kann, das wird von den meisten Investorinnen und Investoren bei StartUps nicht nur toleriert, sondern erwartet: Nur wer „groß“ denkt, kann schließlich Großes erreichen. Wer mehr verspricht als er oder sie halten kann, der oder die verhält sich im StartUp – Ökosystem daher nur dann nicht angemessen, also unseriös, wenn das Versprechen bereits in dem sicheren Wissen abgegeben wird, es später nicht halten zu können. In diesem Fall planen Gründerinnen und Gründer von Anfang an, gegenüber ihren Investoren und/oder Kunden spätere Erfolge zu faken. Wer mehr verspricht als er oder sie halten kann, dieses Zuviel oder Daneben im Verlauf der späteren Wegstrecke erkennt, rechtzeitig pivotet und dies gegenüber den Investoren transparent macht, der oder die handelt vollkommen adäquat, klug und seriös.

Worauf will ich hinaus? Ich möchte anhand vor allem eines Beispiels, das ich selber erlebt habe und daneben am Rande einiger anderer, die zu trauriger Berühmtheit gelangt sind, auf ein „Geschäftsmodell“ verweisen, das unter legalistischen Gesichtspunkten nicht immer sofort als unseriös oder gar kriminell auffällt, das aber bei näherem Hinsehen genau das ist – unseriös und deswegen, später, sehr oft tatsächlich kriminell: Den Schneeball.  

Schneeball-Systeme bei StartUps sehen anders aus, funktionieren aber wie alle anderen nicht

Schneeballsysteme im StartUp – Umfeld sind auf den ersten Blick nicht die Schneeballsysteme, die man vor allem von Unternehmen am Kapitalmarkt oder von den Pyramidenstrukturen von Handelsvertretungen kennt. Alle Schneeball- und Ponzi- Systeme, wie immer man sie im Einzelnen wissenschaftlich unterscheiden mag, gleichen sich darin, dass ihre Konkretionen in Unternehmensgestalt an der harten Oberfläche der Marktwirklichkeit zerschellen und ihr cleveres „System“ im Licht der mathematischen Evidenz schmilzt: Ihre Proponenten versprechen Dinge, von denen, würde allen das Gleiche versprochen, a priori klar wäre, dass sie nicht funktionieren können. Sie verschleiern ihr permanentes, notwendiges Scheitern, indem sie Kunden das eine und Investoren das andere oder beiden das Gleiche zu Lasten des jeweils anderen erzählen. Und viele dieser Unternehmer, nicht alle, scheitern schon aufgrund ihrer gleichgültigen Einstellung gegenüber betriebswirtschaftlicher Vernunft auch bei Kleinigkeiten, lange bevor die Schneeball-Lawine sie schließlich sowieso begraben würde. Nur die cleversten verstecken ihre Motivlage hinter einer sparsamen Fassade. Ihnen allen aber liegt grundsätzlich nichts am Erfolg ihres Geschäftsmodells, von dem sie wissen, dass es nicht funktionieren kann, sondern nur an ihrem eigenen, persönlichen wirtschaftlichen Benefit.

Das wirklich charakteristische Merkmal aller Schneeballsysteme, das Merkmal, dem sie ihren Namen verdanken, liegt in der destruktiven Kraft der für Schneeballsysteme konstitutiven Lügen. Nicht nur im StartUp – Umfeld beginnen sie meist klein und harmlos, und werden dann von Mal zu Mal, Finanzierungsrunde zu Finanzierungsrunde, immer größer., Sie müssen dem wachsenden Druck der ebenfalls stetig wachsenden und über diese Lügen aufrecht erhaltenen hohen Erwartungshaltung der Kunden und Investoren stand halten. Auch der angerichtete wirtschaftliche Schaden wird auf diese Weise fortlaufend und i.d.R. exponentiell größer und größer, sei es hinsichtlich der Zahl der geschädigten Kunden und Investoren oder im Hinblick auf die Höhe der Verluste, die Investoren als Konsequenz zu verschmerzen haben. Den größten Schaden allerdings tragen solche Unternehmer am Ende regelmäßig selbst davon.

Im StartUp – Umfeld entstehen Schneebälle meist dadurch, dass Gründer, um eine Finanzierungsrunde zu bestehen, glauben Versprechen abgeben zu müssen, die ihr gewähltes Geschäftsmodell unmöglich erfüllen kann. Hier ist zu unterscheiden zwischen Gründern, die dies in dem Glauben tun, das Modell werde später, bei hinreichenden Verkaufszahlen, schon noch „skalieren”, die also mehr aus Angst, keine Finanzierungsrunde zu bestehen, zunächst ein bisschen schummeln und denen, die gar nicht die Absicht verfolgen, ein tatsächlich funktzionsfähiges Geschäft auf die Beine zu stellen. Sind erstere Unternehmer einmal auf der Schummel-Spur, können sie pivoten und ihr Geschäftsmodell anpassen. Dann müssen sie zugeben, dass ihr verändertes Geschäftsmodell nicht deswegen geändert wurde, weil ein veränderter Markt dies verlangt, sondern deshalb, weil es schlecht war. Und das möchte natürlich kein Gründer, schon gar nicht allerdings einer, der schon vorher wusste, dass es nicht funktionieren kann, weil ihm gar nicht daran gelegen ist, dass es funktioniert. Bleiben diese Gründer bei ihrem falschen Spiel, dann müssen sie von Runde zu Runde, aus Geschäftsmodell-Perspektive immer irrationalere Erwartungen erfüllen. Das führt dann am Ende dazu, dass nicht mehr ‘nur’ Investoren angeschmiert werden, sondern auch die Kunden und am Ende eben auch das Gesetz. Denn ein Scheitern lässt sich nur auf zweierlei Weise kaschieren: Indem Ergebnisse des Geschäftsmodells, Umsätze und Renditen, gefakt werden und/oder indem den Investoren ein Geschäftsmodell verkauft wird, das in Wahrheit anders aussieht als es verkauft wurde. Und im Regelfall ist beides erforderlich, um das Lügensystem am Leben zu halten.

Dinge versprechen, die nicht funktionieren können

Ich war (und bin es aus juristischen Gründen noch immer) seit inzwischen zehn Jahren in ein StartUp investiert, das Investoren mit Erfolgs – Stories über Lizenzpartnerschaften mit den bekanntesten und populärsten Freizeitmarken dieses Planeten betörte. Ziel war es, Produkte in den Verbrauchermarkt zu bringen, von denen man schon ungetestet wusste, dass sie – nur – aufgrund dieser Marken begehrt sein würden. Die Botschaft an die Investoren: Wenn diese Megamarken unserem jungen aufstrebenden StartUp vertrauen, dann könnt ihr Investoren das auch. „Mein“ StartUp beeindruckte mit echten Lizenzverträgen und musste seine Investoren gar nicht mit gefakten Kundenverträgen beeindrucken, wie Elisabeth Holmes von Theranos oder Bernie Madoff oder Wirecard dies wiederholt taten. Holmes beispielsweise sprach über tatsächlich nicht vorhandene Kundenbeziehungen zum US-Militär und zu amerikanischen Pharma-Riesen. „Mein“ StartUp kaufte sich mit dem Investorengeld einfach sehr teuer Lizenzverträge ein und hatte anschließend kein Geld mehr, um seine Produkte wirtschaftlich verkaufbar auf die Verkaufsspur zu setzen. Der Schaden für Kunden und Investoren war am Ende proportional der gleiche wie bei den Vorgenannten. Um Geld verdienen zu können, hätte das Geld der Investoren zunächst in die Produktentwicklung und in den Produktvertrieb gesteckt werden müssen. Stattdessen wurde es in Investor Relations gesteckt, gewissermaßen in “Markenkommunikation” gegenüber neuen und bestehenden Investoren, um einen Transfer vom Image der Lizenzgeber auf das eigene Unternehmen, den Lizenznehmer zu erreichen.

Dieses System war allerdings bis dahin de jure – noch – nicht betrügerisch, denn, immerhin, die Partner-Verträge gab es ja tatsächlich. Doch ein Teufelskreis war in Gang gesetzt worden, denn nun musste laufend neues Investorengeld eingeworben werden, um mit noch mehr Lizenzverträgen noch größere Marken an sich zu binden, damit die alten Investoren an Bord blieben und mit neuen noch größere Stories fabriziert werden konnten. Dieses Geld konnte also weiterhin nicht in die eigene Produktentwicklung investiert werden, denn es konnte ja nicht zweimal ausgegeben werden. „Betrug” war also das Geschäftsmodell selbst und außerdem die Art und Weise, wie es verkauft wurde.

Betrug als Geschäftsmodell

Man kann frühen Investoren eine ganze Weile eine spannende Phantasie verkaufen. So handelt schließlich nahezu jedes StartUp. Sie nötigt dann erst zum Betrug, wenn man nicht zugeben möchte oder kann, einem schlechtem Modell absichtlich oder unabsichtlich aufgesessen zu sein. Als bei “meinem” StartUp die Zeit gekommen war Investoren zu zeigen, dass aus den vermeintlich lukrativen Partnerverträgen Umsatz entstanden war, Umsatz in einer zu dem Volumen und zu der Zahl der Partnerverträge passenden Größenordnung, war nahezu nichts dergleichen entstanden, konnte auch gar nicht entstanden sein, da eben für die Produktentwicklung, nach der Fabrikation dieser Stories mithilfe dieser Lizenzverträge, kein oder kaum mehr Geld vorhanden war. Platzen wird diese Blase also spätestens dann, wenn die in den vorangegangenen Finanzierungsrunde in Aussicht gestellten Umsätze endlich vorgezeigt werden müssen. Und das Geschäftsmodell ist dann ein betrügerisches, wenn Absatz, Umsatz und Rendite überhaupt nicht Gegenstand des Modells sind, dies aber unter Vospiegelung oder Vertuschung der Tatsachen behauptet wird.

Wieso Betrug?

Betrug ist, wenn Menschen im Wege der Täuschung der Betrüger dazu bewegt werden, einen eigenen Vermögensschaden zugunsten dieser Täter in Gang zu setzen. Ein Geschäftsmodell, das von Anfang an darauf angelegt ist nur Investoren zu beeindrucken statt außerdem auch darauf, attraktive Produkte oder Dienstleistungen für geeignete Märkte wirtschaftlich zu entwickeln, herzustellen und zu veräußern, täuscht Investoren. Investoren bauen darauf, dass das Geschäftsmodell eines StartUps dem Zweck dient, mit Produkten oder Dienstleistungen perspektivisch mehr Werte zu schaffen, als durch die Herstellung und den Vertrieb an Werten verzehrt wird.

Wenn erstens die Lizenzkosten der Markenpartner des StartUps den gesamten für die Produktentwicklung und die Produktvermarktung verfügbaren positiven Cashflow aufzehren und wenn zweitens durch diese „Vermarktung“ nicht die zu verkaufenden Produkte oder Dienstleistungen im Wert oder im Absatz wachsen, sondern nur der vorübergehend hohe Wert des Unternehmens aufgeblasen wird, dann liegt spätestens dann Betrug vor, wenn die Unternehmer von diesem aufgeblasenen Unternehmenswert im Wissen um seine wahren Hintergründe wirtschaftlich profitieren – zu Lasten der bestehenden und der neu hinzugewonnen Investoren, die weiter in ihrem Glauben an die Story belassen werden und daher an ihrem Investment festhalten. Das Geschäftsmodell war also nicht einfach nur schlecht. Es war darauf angelegt, untauglich zu sein und den Investoren zu schaden. Und dies erkennt man daran, dass das in der Außendarstellung regelmäßig kaschiert wurde. Dies war der notwendig gewordene Folgebetrug.

Wieso haben die Investoren die Story geglaubt?

Denn natürlich kann man sich fragen: Wieso haben wir dummen Investoren der Geschichte der Gründer geglaubt? Selbst schuld? Mit dem gleichen Argument ist auch Elisabeth Holmes´ Verteidigung gekommen. Vergeblich, denn die Dummheit der Kunden oder Investoren rechtfertigt ja nicht eine krumme Tour, die auf solche Dummheit spekuliert.

Im vorliegenden Fall war die Situation allerdings anders. Die Investoren waren nicht dumm. Ihnen wurde eine andere Geschichte erzählt. Ihnen wurde erzählt, das Produkt skaliere wunderbar, die ganze Welt wolle es haben und zu seiner Herstellung seien, nach dem Investment, lediglich minimale Grenzkosten zu veranschlagen. Die extrem hohen Lizenzkosten wurden in der Kommunikation mit den Investoren geflissentlich unterschlagen. Es wurde suggeriert, die bekannten Lifestyle-Marken rissen sich, im Gegenteil, um das StartUp.

Auch eine hypothetisch anzunehmende Skalierbarkeit des irgendwann einmal zu verkaufenden Produkts kann in diesem Fall den Betrugstatbestand nicht aus der Welt schaffen. Dazu hätte ein wirtschaftlich herstellbares, verkäufliches Produkt vorhanden und die Absetzbarkeit dieses Produkts einmal mit und einmal ohne den auf es transferierten Marken-Mehwert getestet werden müssen. Die Lizenzgebühren großer Marken bestehen meist aus einem periodisch erhobenen fixen Sockelbetrag und einer absatzabhängigen variablen Stück-Komponente. Wenn beinahe gar nichts produziert, geschweige denn verkauft werden soll, weil dazu gar kein Geld vorhanden ist, dann ist von vorneherein klar, dass ein hinreichender Deckungsbeitrag nicht erwirtschaftet werden kann, um den hohen Sockelbetrag zu überdecken. Und wenn außerdem die Verkäuflichkeit der tatsächlich entwickelten Produkte nicht, wie gerade beschrieben, getestet werden soll um zu erheben, welchen Erfolgsanteil an Absatz und Umsatz die Marke und welchen das Grundprodukt hat, dann ist außerdem kar, dass Skalierung bei diesem Produkt gar nicht beabsichtigt ist oder, anders formuliert, dass Absatz, Umsatz und Rendite, anders als behauptet, jeweils nicht Gegenstand des Geschäftsmodells waren.

Marke ohne Produkt: Eine schlechte Idee für frühphasige StartUps

In meinem letzten Blog Post hatte ich den Bericht des Economist über Apples Kommunikationsstrategie mit Apple TV+ rezipiert: Wieso investiert Apple so massiv in Apple TV+ und macht so wenig daraus? Die Antwort des Economist: Weil Apple den Kanal in erster Linie als PR-Instrument nutzt, das zwar vergleichsweise wenig Geld verdient, aber dafür netto keine zusätzlichen Kosten produziert. Eine clevere Strategie, auch deswegen, weil Apple so „zeigen“ kann, der Gedanke an Marktbeherrschung liege dem Unternehmen fern. Im vorstehend beschriebenen Case “meines” StartUps war die Situation umgekehrt: Das StartUp hat praktisch nur Kosten und vermarktet und brandet nicht ein Produkt, sondern nur sich selbst.

Da StartUps regelmäßig in neuen, volatilen, sehr dynamischen, kaum vorhersehbaren Entwicklungen unterliegenden Märkten unterwegs sind, ist es für jede Gründung, die tatsächlich ihren Markt entwickeln möchte, so ziemlich die dümmste vorstellbare Strategie eine Marke entwickeln oder kostenträchtig vom Image anderer Marken profitieren zu wollen, solange kein eigenes nachgefragtes und wirtschaftlich herstellbares Produkt vorhanden ist. Wenn es kein Produkt, etwa ein iPhone oder iPad wie bei Apple gibt, dann kann es auch keinen Image Transfer geben. Bei „meinem” StartUp war klar, dass der Wert der eigenen Produkte beinahe ausschließlich dem Markentransfer geschuldet war. Daher hätten die Herstellung und der Vertrieb dieses Produkts tatsächlich ab einer realistischen Absatzmenge gegen Null konvergierende Grenzkosten auf sich laden dürfen. Aufgrund der teuren Lizenzverträge und der unausgereiften und daher teuren Produktherstellung, zu deren Optimierung kein Geld mehr zur Verfgügung stand, war das von vornherein unmöglich. Nicht töricht ist so ein Vorgehen nur, wenn man als Betrüger unterwegs ist, der gar nicht die Absicht hat, ein marktfähiges Produkt zu verkaufen, sondern die, von der so ausgelösten, vorübergehenden Kursrallye zu profitieren.

Ist auch der umgekehrt Weg Betrug?

Hin und wieder trifft man bei StartUps auf eine umgekehrte Konstellation, in der Gründer und ihr Team erklärtermaßen nichts anderes tun, als ihr Produkt zu entwickeln und zu testen. Gegenüber Investoren geben sie nur vor, das Produkt auch „groß“ verkaufen zu wollen. Ist das auch Betrug?

Nein, ist es nicht. Denn ich kann heute gar kein Produkt entwickeln, ohne es am Markt zu testen. Produktentwicklung beinhaltet ilängst immer auch eine vertriebliche Dimension: den Absatz, den Preis, den PMF. Wenn so ein StartUp später im Rahmen eines Share Deals oder sein Produkt im Rahmen eines Asset Deals vom Markt weggekauft wird, dann hat es sowohl einen Investor als auch einen Kunden gefunden. INSTAGRAM wurde für ca. 1 Mrd. USD gekauft.

Fazit: Für StartUps haben Lügen nicht nur kurze, sondern vor allem schwere Beine

Jede und jeder lügt – hin und wieder sogar aus lauteren Motiven. Unternehmensgründungen sind keine Veranstaltungen der reinen Religionslehre, können es nicht sein, wollen und sollen es nicht sein.

Wer seine wichtigsten Stakeholder allerdings systematisch belügt, der oder die lebt gefährlich – nicht einfach nur deshalb, weil Lügen kurze Beine haben, sondern vor allem deshalb, weil die Lügen im Korsett der Finanzierungsrunden regelmäßig zu noch größeren Lügen führen und irgendwann auffliegen – nahezu immer. Es sind dann vor allem schwere Beine, denn in Zeiten, in denen Transparenz beinahe zu einem Fetisch geworden ist, schaden Gründerinnen und Gründer, die so vorgehen, am Ende nicht nur den bewussten Stakeholdern, Investoren und Kunden, sondern vor allem sich selbst, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Energie, die sie aufwenden müssen, um ihre „Story“ wenigstens eine Weile am Leben zu halten, sollten sie besser in die Entwicklung und Testung ihrer Produkte stecken.