Das künstliche Bewusstsein oder: Warum KI kein Gewissen hat

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Artificial Consciousness

Artificial Consciousness. Warum KI kein Gewissen hat
Das phantastische Märchen vom „künstlichen Bewusstsein”

Die bewusste KI

Dieser Tage wird viel über die Gefahr gesprochen, die KI für den Menschen darstellt. Die Hauptsorgen lassen sich in die folgenden drei Kategorien einteilen:

  1.   Job-Angst: Die Angst, durch Roboter oder künstliche Mittel ersetzt zu werden.
  2. “Deep Fake” Angst: Die Befürchtung, dass es immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Falschheit, Realität und Phantasie zu unterscheiden.
  3. Existenzangst: Die Angst, irgendwann ausgelöscht zu werden, entweder weil abscheuliche Roboter oder andere böse künstliche Agenten uns zu eliminieren suchen oder weil eine dysfunktionale KI eine Atomkatastrophe/einen Weltkrieg oder dergleichen auslöst oder schließlich, weil wir uns in die Arme von teils menschlichen, teils künstlichen humanoiden Hybriden werfen und so, sozusagen versehentlich, aufhören, das zu sein, was wir einmal waren: Menschen.

Im Zusammenhang der KI kommt es zu weiteren Besorgnissen, Ängste die nicht unter eine der vorgenannten Kategorien fallen: Im Kontext der öffentlich oder privat veranlassten künstlichen Gesichtserkennung beispielsweise die Angst vor einer unzureichend geschützten Privatsphäre. Aber ich bin zuversichtlich, dass mehr als 90 Prozent des öffentlichen KI- „Tremors” unter einen der drei vorgenannten Schirme passt.

Also: Wie besorgt sollten wir sein?

@1. Jobverlust

Die Angst vor dem Jobverlust, ist eine durch und durch berechtigte Sorge: Jobs werden ja längst durch Robotor und KI ersetzt, nicht nur bei amazon. Und es sind keineswegs nur „dumme” Jobs, die da ersetzt werden.

Doch auch wenn dies für ein vom Jobverlust bedrohtes Individuum wenig tröstlich ist: Es ist zurecht immer wieder zutreffend festgehalten worden, dass aus volkswirtschaftlicher Perspektive für jeden an die KI verlorenen Job ein oder sogar mehrere neue Jobs hinzukommen werden, Jobs, die noch nicht durch KI selbst ausgeführt werden können.

Es ist daher klar, dass sowohl von öffentlicher als auch privatwirtschaftlicher Seite am Arbeitsplatz, in den Schulen und Ausbildungsstätten (mehr) investiert werden, damit Menschen fähig werden, die Produktivitätssteigerungen infolge künstlicher Intelligenzen Herr werden zu können. Aus volkswirtschaftlicher Sicht müssen wir uns aber keine Sorgen machen, dass unserem humanen Gehirn nichts mehr zu tun übrig bleibt und wir das Geldverdienen, je nach Sichtweise, den Rechnern überlassen müssen oder dürfen.

@2. Deep Fake

Das Verschwinden von mehr oder weniger offensichtlichen Kriterien für das, was real oder was wahr ist, ist ein offensichtliches Zeichen unserer Zeit. Doch dieser Gefahr sind sich Regierungen, öffentliche Akteure und die Zivilgesellschaft rund um den Globus vollkommen bewusst.  Deep Fakes, „böse” Bots und andere „ bscheuliche” virtuelle Agenten erleben derzeit zwar einen riesigen Hype. Aber sie tun dies vor allem deshalb, weil es sich um ziemlich neue Phänomene handelt. Denn es ist auch klar, dass niemand freiwillig eine virtuelle Realität gegen eine reale oder einen echten Menschen gegen einen virtuellen Gesprächspartner eintauschen würde.

Nicht für immer jedenfalls. Es wird viele virtuelle Realitäten geben, bewusst herbeigeführte und erlebte und bewusst als Täuschung herbeigeführte und alsTäuschung unbeabsichtigt erlebte, aber abgesehen von temporären Exkursionen in die Welt der Fun and Games ist es unvorstellbar, dass Menschen einer virtuellen oder sagen wir ruhig: falschen Realität einen größeren Wert beimessen werden als einer echten.

Abgesehen von seinem Neuigkeitswert ist der einzige ersichtliche Grund, warum das „Virtuelle” heute so extrem gehypt ist, der, dass es uns schon sehr überrascht, wie leicht sich unsere Sinne betrügen lassen. Sobald sich die Menschen daran gewöhnt haben werden, sobald der Überraschungseffekt vorbeigezogen ist, wird sich die Anziehungskraft des Virtuellen auflösen und der Widerstand mindestens gegenüber beabsichtigten, nicht-spielerischen Täuschungen wird wachsen. Es werden, vermutlich mithilfe von Instrumenten der künstlichen Intelligenz, Kriterien entwickelt werden, die es uns ermöglichen werden, zwischen manipulierter und nicht manipulierter Wahrheit bzw. Wirklichkeit zu unterscheiden.

Das deutlichste Indiz für den offenbar doch überschaubaren Reiz, den die virtuelle Realität für Menschen mit sich bringt, ist der Markt der Augmented Reality, der sich, zur Überraschung vieler „Marktkenner“, als deutlich größer als derjenige der Virtual Reality entpuppt hat. Menschen wollen nicht in einer unwirklichen Welt leben oder ein unwirkliches Leben führen, aber sie sind sehr zufrieden damit, dass ihre begrenzten menschlichen Ressourcen durch technische Hilfsmittel ihrer Wahl, einschließlich AR, Unterstützung finden.

Kurz: Wir können sehr zuversichtlich sein, dass Menschen, mit welchen Mitteln auch immer, bestrebt bleiben werden, ihre Fähigkeit zu bewahren, das Wahre vom Falschen und das Wirkliche vom Unwirklichen zu unterscheiden, wahrscheinlich gerade weil sie wissen, wie schwierig es bisweilen ist, das eine vom anderen zu unterscheiden.

@3. Existenzielle Bedrohung durch AI

Wenn es um das befürchtete Aussterben, das Auslöschen oder die selbstgewählte Verdrängung der menschlichen Rasse durch KI geht, sollten wir meiner Meinung nach unterscheiden zwischen

  • einem unbeabsichtigten, zufälligen Ereignis aufgrund von Programmierfehlern oder „bösen” künstlichen Einflüssen, wobei beide Ereignisse vollkommen vorstellbar und beunruhigend sind, und
  • einer schleichenden Selbstzerstörung der menschlichen Rasse durch künstliche Agenten, die das menschliche Wollen überlagern oder mit ihm verflochten sind.

Ereignisse, die unter den ersten Bullet point fallen, sind für uns nicht neuartig. Sie stellen keine Bedrohung dar, die KI- spezifisch wäre. Wir sind z.B. mit dem Risiko der nuklearen Selbstzerstörung längst vertraut und wissen, dass dieses Risiko allenfalls politisch oder militärisch begrenzt werden kann.

Was den zweiten Punkt anlangt: Diese Sorge gehört in das Reich der Phantasie, der belletristischen Science Fiction, die uns amüsieren aber überhaupt nicht beunruhigen muss.

Warum?

Das künstliche Bewusstsein

Wir sind so besorgt über den Chip in unserem Gehirn, weil wir meinen, er würde uns in eine neue Spezies verwandeln.  Wir haben Angst davor, uns in einen nur noch halbwegs menschlichen Tech-Klon zu verwandeln.

Natürlich möchte sich niemand einer Maschine unterordnen. Aber wir Menschen waren doch bislang immer bereit, Werkzeuge willkommen zu heißen, die uns das Leben erleichtern? Wir erfanden das Rad, das Buch, die Brille, das Hörgerät… . Also, was ist so beunruhigend daran, KI zu akzeptieren und die natürliche menschliche Intelligenz zu erweitern?

Wäre ein Mensch nicht mehr menschlich, nachdem ihm ein Chip in sein Gehirn implantiert worden wäre, der ihm dabei hülfe, sich in 20 Fremdsprachen auszudrücken oder innerhalb des Bruchteisl einer Sekunde die dritte Potenz von 0,398765 mit der Quadratwurzel von 367,99981 zu multiplizieren?

Menschen verbessern die Leistungsfähigkeit ihren Körper, indem sie Schönheitschirurgen besuchen oder Muskelaufbau-Medikamente einnehmen. Sie modifizieren ihre sexuelle Identität. Und wenn sie unter einem psychischen Problem leiden, nehmen sie Medikamente, um sie zu minimieren. Würde einer von uns ernsthaft behaupten, dass Menschen, die eine solche Selbstveränderung durch Chemie oder mechanische Eingriffe erfahren, aufhören, ein Mensch im traditionellen Sinne des Wortes zu sein? Natürlich nicht. Warum soll dann KI verboten sein oder Anlass zu Sorge bieten?

Der Fehler, den Menschen begehen, wenn sie besorgt über halb menschliche und halb künstliche Hybride sinnieren, ist, dass sie vergessen oder nicht sehen, wo der Unterschied zwischen Mensch und Technologie liegt: Technologie besitzt keine Intentionalität, sie zielt auf gar nichts. Tech wird von Menschen mit Absicht erfunden und ausgeführt und ja, manchmal lässt Tech versehentlich Dinge geschehen, die unbeabsichtigt waren und die Menschen eigentlich nicht geschehen lassen wollen (wie z.B. den Absturz einer BOING 737 Max). Doch das sind Risiken, die unter Kategorie a, den ersten Bullet point, fallen.

Technologie ist per Definition nicht in der Lage, spezifisch menschliche, also personale Qualitäten wie Intentionalität (etwas in einer bestimmten, selbst gewählten Absicht tun), Gewissen (die persönliche und auch nicht übertragbare Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen) und Urteilsvermögen (gegebene Umstände autonom bewerten) auch nur teilweise zu ersetzen.

Technologie kann dies per Definition schlicht deshalb nicht, weil sie eben von Dritten (egal ob dies humane Entwickler oder von humanen Entwicklern designte künstliche Intelligenzen sind) dazu bestimmt wurde, Entscheidungen im Sinne oder nach dem Muster dieser Dritten zu treffen. Dabei spielt es gar keine Rolle, dass die Entwickler oft gar nicht mehr verstehen können, warum die von ihnen ersonnene künstliche Intelligenz so und nicht anders „entscheidet“. Es reicht völlig, dass das Entscheidungsmuster von Menschen ersonnen wurde, dass also Menschen, warum auch immer, entschieden haben, dass eine bestimmte künstliche Intelligenz auf eine bestimmte Art und Weise, nach einem bestimmten Verfahrensmuster, entscheiden soll.

Solange der Mensch nicht vollständig versteht, warum er selbst bestimmte Urteile fällt, warum er nach x und nicht nach y strebt und warum er es unterlässt, z zu tun, solange werden Menschen Menschen bleiben. Werden sie das jemals vollständig verstehen können? Nein! Und das ist gut so. Verhielte es sich anders, wären Menschen nur noch das Produkt ihrer Umgebungsbedingungen und aus diesen heraus erklärbar. Sie wären nur noch thermodynamische Momentzustände, die für nichts verantwortlich gemacht werden könnten.

Weil jede versuchsweise Erklärung menschlichen Denkens und menschlichen Handelns aber (gleichgültig ob diese Erklärung biologisch, biochemisch, physikalisch, anthropoligisch, soziologisch oder historisch ist) eine neue ungeklärte Frage nach sich zieht, deshalb lässt sich menschliches Handeln zwar – unverbindlich – interpretieren; nie aber vollständig und nie verbindlich begründen oder erklären. Und ergo lässt sich nach dem Muster humanen Verhaltens grundsätzlich auch kein vergleichbares Artefakt mit Bewusstsein und Gewissen konstruieren. q.e.d.