Mit Zeitmanagement mehr Zeit gewinnen, um dann nicht zu wissen, was mit ihr anfangen…
Wenn ich so am ‘frühen Abend’ nach getaner Arbeit, also sagen wir so gegen 22:00 Uhr, schlapp im Sofa liege und, zu faul, um mir meinen Content selbst zu kuratieren und streamen zu lassen, durchs TV-Programm zappe, dann bleibe ich oft an Sendern kleben, die nicht unbedingt unterhaltsam, dafür aber informativ sind und helfen, den engen eigenen Horizont in Raum und Zeit zu weiten.
Bei Aljazeera (English) schaute ich mir z.B. letzte Woche eine Sendung über marokkanische LKW-Fahrer und ihren Job-Alltag auf der Reise zwischen Rabat, Dakar (Senegal) und zurück an. War wirklich megaspannend und zeigte mir, welche enormen Potenziale im Transport- und Logistik-Sektor auf StartUps warten, die über den deutschen Tellerrand hinausgucken können. Klar, da geht es weniger um Clean Energy und mehr um Sicherheit, just-in-time-Organisation “in der Wildnis”, Routenplanung, Straßenbau, Restauration, Trinkwasser und Zoll. Aber diese Themen sind für Volkswirtschaften, die zur ersten Welt aufschießen wollen, halt mindestens ebenso wichtig. Und das dürfte eine gehörige Untertreibung sein. Man kann das bedauern. Ändern kann man es nicht.
In zeitlicher Hinsicht bleibe ich oft bei tagesschau24 kleben. Da bekommt man einen Eindruck davon, wie wenig wir in den letzten 50-60 Jahren wirklich vorangekommen sind. Es heißt ja immer, die Zeit bewege sich fortwährend immer schneller. Immer schneller, immer schneller, exponentiell eben. Da frage ich mich “immer”, nach welchem Maßstab da gemessen wird. Was ist der Maßstab dafür, dass, dieser Aussage zufolge, die letzten 10 Jahre, jedenfalls in technologischer Hinsicht, in etwa ebenso ereignisreich waren wie die vorletzten 20 und die vorvorletzten 40? Ich glaube, die Frage ist bis jetzt noch nicht beantwortet worden. Lebensweltlich jedenfalls hat sich, trotz Internet, Social Media, Globalisierung usf., wirklich ganzm ganz wenig seitdem geändert:
Im Jahr 1962, ein Jahr vor meiner Geburt, wurde in einer ARD-Sendung, ich glaube es war der ndr, über der Deutschen Freude am Urlaub berichtet. Dabei wurde eine direkte Linie zwischen der “Industrieautomation” (heute würde man sagen Industrie 3.0), die damals gerade erst im Enstehen begriffen war, und der gefühlt unendlich großen Freizeit gezogen, die damals schon jedem Arbeitnehmer selbstverständlich galt. Automation wurde von Arbeitnehmern dankbar als Geschenk kluger Ingenieure begriffen.
Der Sprecher der Sendung aus dem Jahr 1962 berichtete , wie die Deutschen zum Skifahren in die Alpen fahren oder zum Baden nach Mallorca fliegen, wie eben heute, 60 Jahre später, auch. Damals war Reisen und Urlaub längst nicht mehr exklusiv, sondern das gute Recht eines jeden Bundesbürgers. Der Sprecher erinnerte auch daran, dass “vor 50 Jahren” nur eine ganz kleine Clique wirklich Betuchter sich derlei Vergnügen leisten konnte, weil die Arbeiter “damals”, also zu Zeiten der späten industriellen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts, von den Industriellen noch unfair ausgenutzt wurden. Wie anders sei doch “unsere Zeit”.
Weiter berichtete der Sprecher, dass sich zwar alle Welt dem Urlaub engegensehnte, dann allerdings sehr oft nicht wirklich wisse, was man mit der vielen Freiziet anfangen könne, weshalb sich dann tatsächlich viele Urlauber dem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub entgegen sehnten. Das war lange vor der 35 -Stunden-Woche und rund 7 Jahre, bevor Neil Armstrong auf dem Mond spazieren ging!
An den Lebensumständen zu damals, 1962, hat sich heute vielleicht doch nicht so wahnsinnig viel geändert. Außer: Wir haben noch mehr Zeit und wissen noch weniger, was wir mit ihr anfangen können. Ausnahmen bestätigen die Regel. Geändert hat sich allerdings schon, dass industrieller Fortschritt heute nicht mehr als Fortschritt, sondern, wegen diese “unheimlichen” künstlichen ‘Intellenz’, als Bedrohung wahrgenommen wird, obwohl er lebens- und arbeitsweltlich genau die gleichen Vorteile beschert, wie damals auch: Mehr Zeit.