Am vergangenen Sonntag, dem 2. Advent, durfte man in „WELT am SONNTAG“ ein sehr spannendes und sehr langes Interview des Axel Springer Chefs Mathias Döpfner mit Elon Musk lesen, dem der Verlag gerade den „Axel Springer Award“ verliehen hatte.
Neues schaffen: Großartig – Bestehendes verstehen: Langweilig
Besonders interessant und auch gut fand ich Musks Antwort auf die Frage, warum er sich in erster Linie als Ingenieur verstehe. Musk über Musk: „Ja, das beschreibt am besten was ich mache. […] Die Wissenschaft entdeckt Dinge im Universum, die bereits existieren. Technik hingegen heißt, etwas zu erschaffen, das es bislang noch nicht gab. Etwas zu erschaffen, das es im Universum so noch nicht gegeben hat, ist etwas Großartiges.“
Gegen Ende des Interviews fragt Döpfner Musk, ob es denn überhaupt etwas gebe, das er nicht verstehe. Folgerichtig und in konsequenter Übereinstimmung mit seiner vorstehenden Antwort sagt er: „Es gibt viele Dinge, von denen ich nicht wirklich eine Ahnung habe. Ich habe vielleicht ein gutes Verständnis von Technologien. Aber wohin sich die Menschheit kollektiv entwickelt? Da bin ich unsicher.“
Interessant an dieser Antwort ist nicht Musks schulbuchmäßige, geradezu klassische Unterscheidung zwischen Technik und Wissenschaft, τέχνη und ἐπίσταμαι, sondern was er für aufregend hält und was, ihm persönlich, eher langweilig anmutet. Technik ist für Musk Machen, selber machen. Wissenschaft dagegen ist lediglich Nachvollziehen, das nachvollziehen, was schon da ist.
Unternehmer und Gründer als Macher
In diesem gleichen Sinne Macher oder Ingenieure sind auch Unternehmer, denn auch sie schaffen etwas, das es zuvor so noch nicht gegeben hat. Selbst das Ausrollen oder Nachahmen bereits anderswo erfolgreich praktizierter Geschäftsmodelle ist ein Ausrollen unter neuen Bedingungen und insoweit immer auch neu und innovativ. Nicht umsonst spricht die Finanzwirtschaft im Kontext des Aufsetzens eines Finanzierungsmodells für Unternehmen gerne von „financial engineering“.
So ist mehr als verständlich, dass im unternehmerischen Milieu wenige Charaktermerkmale ähnlich verpönt sind wie der Hang zum akademischen Besserwissen. Wer nur nach Wissen strebt, kontemplativ nach Wahrheit sucht, statt die Welt verändern und verbessern zu wollen, der, so die klassische Unternehmer-Position, möge doch bitte an der Hochschule bleiben. Alles wissen kann man ja eh nicht. Ohne Wissen lässt sich nicht viel Gutes oder Neues schaffen, geschenkt. Aber man braucht als Unternehmer und auch als Ingenieur außerdem die Bereitschaft, unter den ja grundsätzlich immer herrschenden Bedingungen des begrenzten Wissens, des niemals alles wissen Könnens, trotzdem Entscheidungen zu treffen. Das nennt sich Mut.
Die Schlange Risiko: Ob man genug gewusst hat, entscheidet sich grundsätzlich immer erst im Nachhinein
Ob man genug gewusst hat, um richtig zu entscheiden, gut zu handeln, das weiß man immer erst hinterher. Wer aus Furcht vor dem nicht genug wissen gar nichts tut und wie das Kaninchen gebannt auf die Schlange Risiko starrt, der oder die ist nicht Unternehmer oder Unternehmerin sondern Unterlasser bzw. Unterlasserin. Dies ist die Position nicht nur eines Elon Musk, sondern der Mehrzahl echter Unternehmer. Und Elon Musk muss man zugutehalten, dass mangelnde Wissbegier sicherlich nichzu seinen Eigenschaften zählt.
Musk zu Döpfner: „Du weißt ja, dass ich der Chefingenieur von SpaceX bin. Es ist also zuallererst meine Schuld gewesen, dass wir es nicht in den Orbit geschafft haben. Ich hätte es besser machen müssen. Aber der vierte Versuch hat zum Glück funktioniert. Für den vierten Versuch hatten wir gerade noch genug Geld. Wir wären ganz sicher bankrottgegangen, wäre der vierte Versuch auch ein Fehlschlag geworden. Ich war unglaublich nervös und gestresst.“
Daedalos und Ikaros
Daedalos und Ikaros, Vater und Sohn, flohen mit selbst gebauten Flügeln auf dem Luftweg von Kreta, wo König Minos sie auf einem Turm gefangen hielt, gen Festland. Der geniale Konstrukteur Daedalos, der Vater, warnte seinen Sohn: Flögen sie zu tief, würde die Feuchte des Meeres die aus Federn und Wachs selbst gebauten Flügel zu schwer werden lassen. Flögen sie zu hoch, würden sie der Sonne zu nahe kommen; das Wachs ihrer Flügel würde schmelzen. In beiden Fällen würden sie ins Meer stürzen. Daher die Ermahnung, nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen.
Ikaros, überwältigt vom Gefühl der unbeschwerten Freiheit, hielt sich nicht an diese Ermahnung, flog dem Vater in die Höhe davon und stürzte ab. Der unerfahrene Sohn übertrieb es. Vor allem aber: Er tat dies ohne Grund und ohne Not. Wie hoch die beiden würden fliegen können, war auch dem erfahrenen Vater vorher nicht bekannt. Er mied das unnötige Risiko, denn Ziel der Übung war nicht der hohe Flug, sondern der weite. Ikaros war leichtfertig, risikovergessen, Daedalos dagegen risikobewusst und damit, trotz des schmerzhaften Verlusts seines Sohnes, erfolgreich.
SpaceX
Der Fall von SpaceX ist substanziell anders gelagert als der von Ikaros und ähnlich gelagert wie der von Daedalos. Es wurden bei den drei gescheiterten ersten Versuchen auch deswegen Fehler begangen, weil man Risiken nicht leichtfertig ignorierte, sondern in Kauf nahm, um in der Zeit und im Budget zu bleiben. SpaceX nahm sich Daedalos zum Vorbild, scheiterte zwar drei Mal, war aber schließlich erfolgreich. Auch Daedalos ging ja kalkulierte Risiken ein. Er hätte nicht fliehen müssen, sondern sein Dasein auf dem Turm beschließen können. Das wollte er nicht, auch wollte er seinem Sohn ein besseres Leben bieten und nahm dafür kalkuliert Risiken in Kauf.
Trial and Error
Wie hoch zu hoch und wie tief zu tief sein würde, das konnten auch die beiden nur durch Trial und Error herausbekommen. Bei beginnender zu großer Flügelfeuchte war das „Pivoten“ noch möglich. Bei beginnender Wachsschmelze ebenso. Ikaros hingegen ging sein Risiko, wie gesagt, aus Leichtfertigkeit, grundlos, ein.
Auch der vierte SpaceX – Flug war nicht fehlerfrei. Nur führten Fehler hier nicht zum Scheitern der Mission. Und wäre die dritte Mission schon erfolgreich gewesen, hätte man die dabei gemachten Fehler wahrscheinlich gar nicht erkannt. Unternehmertum und Risikobereitschaft sind zwei Seiten derselben Medaille. Erfolg ist eine Funktion des Risikos: Wieviel Risiko und wieviel Sicherheit in Kauf genommen werden müssen oder dürfen, dafür kann es im Vorhinein keinen absoluten Maßstab geben.
Business Angels: Risikoorientierte Unternehmer?
Was hat all das mit den Investments von Business Angels zu tun?
Bezogen auf StartUps ist die Lehre offensichtlich: Wer nichts wagt und wer nichts kann, der gewinnt auch nichts. Wer nicht das Risiko einzugehen bereit ist, vom Turm zu fliehen, der sitzt dort fest. Wer nicht fähig ist Flügel zu bauen und oder immerhin den Einfall hat die Vögel zu imitieren, auch. Und auch wer sich selbst überschätzt oder unnötige Risiken eingeht, der oder die geht baden. Deshalb tun Startups gut daran, unnötige Risiken dadurch zu umgehen, dass die potenziellen Erfolge oder Misserfolge frühzeitig, noch auf der Teststrecke, erkannt werden können und der berühmte Pivot so nicht zu einem später nicht mehr verkraftbaren Akt wird.
Wer unvermeidliche Risiken eingeht, kann natürlich auch scheitern und tut es auch oft genug. Er oder sie kann aber eben auch gewinnen und er oder sie kann auch nur so gewinnen. Solche Risiken sind die Würze des Gründer-Daseins und müssen billigend und bewusst in Kauf genommen werden.
Und Business Angels?
Es ist gefährlich, wenn sich Angels in ihrer Rolle als Angels wie Unternehmer sehen und gerieren und zwar für beide Seiten: Für die Angels selbst und für ihre Zielunternehmen.
Natürlich gehen Business Angels mit ihren Investitionen Risiken ein. Es sind, bezogen auf den Erfolg der Investments, vielleicht sogar Risiken, die noch größer sind als die der Gründer selbst. Doch deswegen sind sie in dieser Rolle noch nicht Unternehmer oder sollte es jedenfalls nicht sein.
Denn wer seine „Adoptiv-Kinder“, die StartUps, keine eigenen Innovationen schaffen und keine eigenen Fehler machen lässt, dem wird es wie Daedalos ergehen. Er wird sie „baden“ gehen sehen.
Anhand der Stationen Auswahl der Zielunternehmen bzw. Gründer, Gesellschaftsvertrag, Begleitung der Angels und Exit wollen wir in der nächsten Ausgabe genauer unter die Lupe nehmen, weshalb Angels im Interesse beider Seiten gut daran tun, sich in dieser Begleiter – Rolle eben nicht als Unternehmer, sondern nur als Investor zu sehen.