Künstliche Fonds-Intelligenz KI als Vehikel der VC-Portfoliobestückung

jvhNew articles

Kuenstliche Portfolioauswahl

Wenige Themen werden bei VC-Investoren und Business Angels derzeit so heiß verzehrt wie die Künstliche Intelligenz. Es finden sich in dem mit Anglizismen und Akronymen nicht gerade schlecht bestückten Gründervokabel-Universum keine, die es mit solchen aus dem Umfeld der Künstlichen Intelligenz stammenden in Punkto Popularität aufnehmen könnte. Offensichtlich handelt es sich bei AI, ML, DL um die entscheidenden Nukleotide des Einhorn-Genoms.

Bisher war es allerdings so, dass AI bzw. KI lediglich Attribute der Investitionsziele dieser Investoren waren. Die Methode ihrer Auswahl blieb konventionell; sie verfuhr nach humanoidem Muster.

Damit ist es seit einer ganzen Weile schon vorbei. Der Prophet zählte zwar bislang nichts im eigenen Land, doch Künstliche Intelligenz zählt inzwischen nicht nur als Investitionsziel,sondern auch als Investitionsmittel unter VCs und Angels immer mehr. Denn wenn KI bei der Target-Selektion eines ganz sich kann, dann dies: Zeit sparen. Da die Algorithmen aber natürlich ein sorgsam geschütztes „geistiges Eigentum“ der VCs sind, weiß niemand, wie performant sie im Einzelfall tatsächlich sind. Was man aber durchaus tun kann, ist diese Frage grundsätzlich zu stellen.

Kröpfchen und Körbchen: Die Erwartung an Selektions-Algorithmen

Auch der Münchner VC Fonds Manager ealybird Management GmbH & Co. KG (earlybird) beispielsweise, so konnte man dieser Tage im Handelsblatt (€) lesen, bedient sich bei der Vorauswahl in Frage kommender Targets Künstlicher Intelligenz. Dabei handelt es sich um eine, die ein extra dafür eingestellter Mitarbeiter und Doktorand der TU München, Andre Retterath, zu diesem Zweck geschaffen hatte. Viele andere VCs versuchen es weltweit auch und jeder hält seinen Algorithmus, wie gesagt, als Betriebsgeheimnis streng geheim.

Mit künstlicher Intelligenz habe man zwar nicht das Mittel der Wahl, um alle künftigen Einhörner dieser Welt frühzeitig zu entdecken, so sinngemäß einer der geschäftsführenden earlybird – Partner, Hendrik Brandis, doch man könne damit sehr gut aussortieren, in welche Zielunternehmen man jedenfalls nicht investieren solle, selbst wenn diese, nach dem Ermessen natürlicher Intelligenzen, zunächst vielversprechend aussähen. Und umgekehrt gilt sicher auch: Mit dieser Target Selektions-KI erhofft man sich, das Risiko exponentiell wachsender „Anti-Portfolios“ – Portfolios gefüllt mit Unternehmen, in die man, als Mensch, dezidiert nicht investiert hätte, die dann aber sehr erfolgreich hätten werden können – signifikant zu minimieren.

earlybird macht deutlich, dass der Anspruch an seine Auswahl-Logarithmen nicht dahin geht, absolute Treffer zu landen. Den Fondsmanagern geht es vor allem darum, potenzielle Treffer automatisiert und damit zeitsparend vorzuqualifizieren und wahrscheinliche Nieten auszusortieren. Der Faktor Zeit spielt dabei eine große Rolle. Vielleicht sind gute und gründlich arbeitende Analysten, denen alle Zeit der Welt zur Verfügung steht, genauso performant wie eine dazu trainierte KI, vielleicht sind sie sogar besser. Doch angesichts der Flut an Business Plänen und der Kapital nachfragenden Gründer ist Zeit eben, auch für Analysten, ein sehr rares Gut. Die Zahl potenziell investitionsfähiger, earlybird jedes Jahr auf den Tisch gelangender Frühphasen-Startups liege bei rund 13.000. Daraus sollte Rettenraths KI ca. 15 auswählen.

Die earlybird – Algorithmen können also offenbar anhand der Verknüpfung harter und weicher Daten aus sehr heterogenen Quellen zu den Gründern, Gründungsvorhaben (in Gestalt von Pitch Decks, Businessplänen, Cashflows …), Märkten usf. vielversprechende – und weniger vielversprechende – Muster identifizieren, die den Horizont menschlichen Analystenvermögens übersteigen. Das klingt plausibel. Warum sollten sie das nicht können.

Logische Grenzen der KI

Nicht erwartet werden kann allerdings, dass diese KI die menschliche Entscheidung ersetzt. Denn gleichgültig wie treffsicher der analytische Muster-Erkennungsblick der KI auch sein mag, beim Blick in die Zukunft kann sie nicht treffsicherer sein als der Mensch.

Predictive analytics funktioniert in geschlossenen logischen und halbwegs geschlossenen physischen Räumen sehr gut. In geschlossenen logischen Räumen sind sie allerdings überflüssig, denn dort gibt es keine temporale Differenz. Innerhalb halbwegs geschlossener physischer Räume, sagen wir einem Reinraum, ist die Zukunft aber immerhin beinahe identisch mit der jeweiligen Gegenwart und der Vergangenheit. Denn es gibt in ihm, morgen, vorhersehbar ähnlich wenige, nur marginale Interferenzen mit allem, was in ihn eingetragen wird, wie gestern und heute.

Bei der Zukunft eines Startups verhält es sich anders. Seine Zukunft ist offen und abhängig von der Interaktion künftiger, aus Analysten- und KI-Sicht gleichermaßen kontingenter Sachverhalte und Umgebungsvariablen des Startups auf der einen Seite und den damit interagierenden Gründern, ihren Mitarbeitern, Kunden und sonstigen Stakeholdern auf der anderen.

Das Ergebnis solcher Interaktionen ist schlechterdings nicht antizipierbar und da aus ihnen stets neue Umgebungsvariablen für das Startup entstehen, wird seine Zukunft mit fortschreitender Zeit aus gegenwärtiger Sicht zudem immer schlechter vorhersagbar.


Bauchgefühl kann gut sein – oder schlecht

Menschen besitzen allerdings im Unterschied zu Maschinen „Bauchgefühl“. Und dieses Bauchgefühl leitet manche Menschen mit einer rational unbegreiflichen Treffsicherheit stets oder zumindest erstaunlich oft richtig, andere wiederum stets oder doch ebenso erstaunlich häufig falsch.

Insoweit gibt es also gute und inzwischen, wie es scheint, auch empirisch ausgetestete Gründe, um annehmen zu dürfen, dass die Vorauswahl VC-geeigneter frühphasiger Startups mithilfe Künstlicher Intelligenz qualitativ bessere Ergebnisse zeitigt, als die Vorauswahl auf der Grundlage eines herkömmlichen Analysten-Urteils.

Trotzdem gibt es auch Zweifel

Dennoch sind auch bei dieser künstlichen Vorauswahl berechtigte Zweifel ins Auge zu fassen:

  1. Historische Daten vs. künftige Erfolge: Wenn, wie oben von mir behauptet, zutrifft, dass eine Künstliche Intelligenz zwangsläufig nur historisch manifeste Daten analysieren kann, woher weiß ich dann, dass sie damit eine bessere Vorauswahl meiner Startups treffen kann? Die Ergebnisse dieser Vorauswahl werden ja nicht heute, sondern erst in etwa 3 – 10 Jahren bei den Exits der Portfolio-Unternehmen zutage treten?

  2. Willkürliche Trainingsdaten: Was man tun kann und was auch schon getan wurde, ist etwas anderes: Man kann tatsächliche Portfolios mit virtuellen Portfolios vergleichen, also mit solchen, die eine heute anhand heute vorliegender Daten trainierte künstliche Intelligenz in der Vergangenheit getroffen hätte, wenn es sie damals schon gegeben hätte. Das Problem dabei: Diese KI blickt mit ihrem heutigen besseren „Wissen“ auf eine Situation in der Vergangenheit, sie „weiß“ also, was heute zum Erfolg geführt hat, sie hätte es aber damals noch nicht „wissen“ können. Und dieses heutige „Wissen“ ist außerdem kein kausales Verständnis, sondern nur die Korrelation von für den menschlichen Analysten nicht immer ohne weiteres identifizier- und korrelierbaren Erfolgsfaktoren. Ob diese Erfolgsfaktoren morgen eine nahezu identische Relevanz besitzen werden, weiß weder die KI noch ihre Anwender.

  3. Willkürliche Unterscheidung Vorauswahl – Endauswahl: Wenn behauptet wird, KI könne eine gegenüber natürlichen Analysten überlegene Vorauswahl treffen, warum kann ich dann nicht auch behaupten, sie sei auch in der Lage, eine bessere Endauswahl zu treffen? Jenseits des besagten Bauchgefühls sind ja bei der Vor- und bei der Endauswahl die zu einer Entscheidung führenden rationalen Kriterien identisch?

  4. Unklarer Erfolgsanteil des Targeteinkaufs an Target-Performance: Völlig unberücksichtigt bleibt bei einer Gegenüberstellung einer natürlichen und künstlichen Vorauswahl besonders VC-geeigneter Zielunternehmen, dass die Investoren eigentlich immer aktivistischen Einfluss auf ihre Zielunternehmen ausüben. Dieser Einfluss ist dabei stets größer und vor allem wirkungsvoller als ein vergleichbar aktivistischer Einfluss auf Private Equity Fonds sein könnte und er ist erst recht wirkungsvoller als es der Einfluss auf andere alternative Investments je sein kann. Die Überlegenheit einer künstlichen Vorauswahl ist damit zwar nicht widerlegt. Es ist damit aber gezeigt, dass vollkommen offen ist, ob die Überlegenheit eines solchen Portfolios der künstlichen Vorauswahl der Zielunternehmen geschuldet ist oder dem Zusammenwirken der Investmentmanager mit diesen künstlich bzw. „natürlich“ vorausgewählten Zielobjekten im weiteren Verlauf des Investitions-Lebenszyklus.

  5. Unklarer Anteil des Portfoliomanagements an Target-Performance: Schließlich ist die Performance eines VC-Portfolios nur dann einfach die Summe der Einzelperformances jedes einzelnen Portfoliounternehmens – wenn man von diesen individuellen Performances die Einflussnahme der Fondsmanager abstrahiert. Dieser Punkt ist nicht identisch mit dem Voranstehenden. Denn unter 4. wird auf den unmittelbaren Einfluss des Portfoliomanagers auf die Performance jedes einzelnen Zielunternehmens Bezug genommen. Hier geht es mir um deren Einfluss auf die Zusammensetzung des Portfolios in Relation zu der Performance jedes Einzelunternehmens. Ein besonders risikoaffines VC-Fondsmanagement wird andere Zielunternehmen auswählen als ein besonders risikoaverses und demzufolge abhängig von der Erreichung von Meilensteinen auch andere Entscheidungen bei Folgeinvestments treffen. Vergleicht man dann später wiederholt den Erfolg beider, wird man aus der jeweiligen Risikoeinstellung keine prinzipielle Überlegenheit des einen Stils gegenüber dem anderen ablesen können. Denn wie gut der jeweilige Fonds performt hat, ist auch dem Zufall geschuldet, der im einen Fall eine größere Risikofreude belohnen mag und im anderen Fall das genaue Gegenteil honorieren kann. Um die Überlegenheit einer künstlichen Präqualifikation beweisen zu können, wird es also nicht genügen, die Performanz eines virtuellen Fonds auf der Grundlage einer KI-betriebenen Vorauswahl mit einem echten, tatsächlich Vorhandenen Fonds zu vergleichen. Man müsste viele unterschiedliche Fonds ohne künstliche Intelligenz-Beteiligung und das Fondsmanagement über viele vollständige Fondslebenszyklen hinweg beobachten und mit solchen vergleichen, bei denen künstliche Algorithmen beteiligt sind.

Fazit: Es scheint gute Gründe dafür zu geben, dass Algorithmen die Qualität der Vorselektion von Zielunternehmen für VC-Fonds begünstigen. Beweisen lässt sich deren Überlegenheit allerdings bis auf Weiteres und auf lang Sicht nicht und es gibt durchaus auch gute Argumente, die gegen eine solche Überlegenheit sprechen.

Besonders erfolgreiche Gründer mit besonders markanten Schwächen

Das vielleicht Beste, von mir immer wieder sehr gern zitierte Argument, stammt von dem Netscape – Mitgründer und a16z – Partner Marc Andreessen. Im Rahmen eines Stanford -Vortrages erklärte er:

“So, one of the cautionary lessons of venture capital is, if you don’t invest on the basis of serious flaws, you don’t invest in most of the big winners. And we can go through example after example after example of that. But that would have ruled out almost all the big winners over time. So what we aspire to do is to invest in the start-ups that have a really extreme strength. Along an important dimension, that we would be willing to tolerate certain weaknesses.“

Die megaerfolgreichen Gründungen werden also, laut Andreessen, sehr oft (wenn auch nicht immer), von Gründern ins Leben gerufen, die – auch – über Eigenschaften verfügen, die sich gegenüber einem Gründungserfolg, je für sich genommen,  gerade als dysfunktional erweisen.

Genau solche dysfunktionalen Eigenschaften aussortieren zu können wäre aber sicherlich eine Qualität, die wir von einer Künstlichen Intelligenz erwarten und die wir ihr daher gerne antrainieren würden. Und ganz bestimmt wären wir Menschen nicht in der Lage zu antizipieren, welche „großen Fehler“, Charakterschwächen usf. einer Gründerin oder eines Gründers unter unbekannten sonstigen künftigen Umgebungsvariablen eines Startups dieses künftig zu Erfolg „verdammen“ würden?