Catch 22? Marketing in neuen Märkten

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Marketing in neuen Märkten
Gretchenfrage: Wie positionieren StartUps in neuen Märkten neue Produkte ohne später falsch zu liegen?

Marketing in neuen Märkten

In meinem letzten Blog Post zu Apples Strategie mit TV+ hatte ich gesagt, daraus ließe sich für Gründerinnen und Gründer einiges lernen.

Was wäre das? Schließlich lautete ja eine der Kernaussagen des Economist, dass Apple deswegen nur halbherzig den Markt für TV+ bearbeite, weil es sich das Unternehmen leisten könne, mit aufwändigen Produktionen Image-PR und Kundenbindung zu betreiben, statt in einen Markt, der eben abseits des eigenen Kerngeschäfts liegt, mit voller Kraft voraus einzusteigen. Gründer können sich genau das nicht leisten. Was also soll der Vergleich?

Summary zum Beitrag des Economist

Aufgrund der Dominanz der iPhones innerhalb des heutigen Apple-Produkt-Portfolios, so die Argumentation des Economist, lohne es sich für Apple, TV+ zu betreiben und dort für Apples Verhältnisse nur ein wenig in hochwertige, imageträchtige Produktionen zu investieren, denn erstens würden Apples iPhones wie TV+ regelmäßig als „Abo“ erworben, das TV+-Abo bewirke so einen Anti-Churn-Bindungseffekt beim iPhone. Und zweitens gäbe es eben diesen hübschen Imagetransfer von Service x (TV+) auf Produkte y (iPhones, iPads, etc.) und Marke z (Apple). Das genüge.

Blicken wir nun auf StartUps, müssen wir also konstatieren, dass dort von einem so üppigen Liquiditätsüberschuss wie bei dem nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen der Welt nicht die Rede sein kann. Wir finden dort die genau umgekehrte Situation: Es gibt praktisch immer eine auf längere Sicht cash-negative Ausgangslage. Allerdings ist es natürlich nicht so, als würde Apple, nur weil es gut verdient, das Geld zum Fenster herauswerfen. Nein, der Economist hatte auch erwähnt Apple wolle verhindern, die FTC könne unterstellen, Apple strebe nach Marktdominanz im Streaming-Markt.

Viele StartUps betreiben Image-Kampagnen: Ist das klug?

Uunbeschadet ihrer angespannten Liquidität investieren viele StartUps, zumal solche, die sich in Konsumentenmärkten bewegen, trotzdem in ihre „Marke“. Hier stellt sich grundsätzlich die Frage, ob das klug ist, bzw. unter welchen Voraussetzungen es klug sein kann.

Denn Marken zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie für Kunden, jenseits des mit einem Markenprodukt oder einer Markendienstleitung erworbenen Guts, ein definiertes belastbares und zeitstabiles Leistungsversprechen bezüglich des verkauften Guts beinhalten. Nicht zuletzt dieses Stabilitätsversprechen rechtfertigt den gegenüber No names höheren Preis, der Markenartikler regelmäßig verlangen. Ein StartUp, zumal dann wenn es noch ein paar Pivots hinlegen wird, wäre also jedenfalls in einer so frühen Phase immer schlecht beraten, in den Markenaufbau zu investieren.

Marketing in Bestandsmärkten vs. Marketing in neuen Märkten

Wirklich? Der letzte Satz klingt plausibel. Doch plausibel ist er bei näherem Hinsehen nur in Bestandsmärkten. Wagt sich ein StartUp als „Disruptor“ mit einem Produkt- oder einem Leistungsversprechen auf einen Bestandsmarkt, indem es bestehende Produkte zu substituieren und vorhandene Anbieter aus dem Markt zu drängen sucht, dann ist es sicherlich gut beraten, in die reine Markenkommunikation jenseits der Vertriebskommunikation erst dann zu investieren, wenn das Produkt eine hinreichende Grundstabilität in seinen künftigen Märkten gefunden hat, dort also stabil positioniert ist.

Ganz anders ist die Ausgangslage für StartUps, die sich auf neue Märkte wagen. Dort gibt es noch kein Bestandsprodukt und auch keine Bestandsnachfrage. Beide kann es nicht geben, sonst wäre der Markt ja nicht neu. Es kann nur einen von dem betreffenden StartUp gemutmaßten oder, besser, vorläufig getesteten Bedarf geben. Dann aber ist es nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, in die Visibilität des eigenen Leistungsversprechen zu investieren, obwohl das Produkt oder die Dienstleistung noch gar nicht „zu Ende“ entwickelt wurde. Die nebenstehenden Anführungszeichen sind nur ein Verweis darauf, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung natürlich nie vollständig zu Ende entwickelt ist, sondern während des gesamten Lebenszyklus laufend unter Beobachtung des Produktmanagements stehen sollte.

Chancen und Risiken der First Movers

Notwendig wird in diesem Fall die Markenkommunikation deshalb, weil ohne diese Sichtbarkeit nie eine den späteren Umsatz ermöglichende Nachfrage zustande kommen könnte. Riskant ist dies deshalb, weil man damit potenziellen Wettbewerbern die Ausgaben für deren eigene initiale Marktentwicklung abnimmt und ihnen Windfall Profits aus der eigenen Anstrengung schenkt. Es ist ja kein Geheimnis, dass First Movers nicht selten auch First Losers sind.

Wartet man allerdings ab, bis sich genügend Wettbewerber für die Entwicklung des eigenen künftigen Markts gefunden haben, so ist auch das risikoreich. Nur der First Mover hat die Chance, den Markt initial so zu definieren oder, besser, zu beeinflussen, dass seine eigenen Produkte oder Dienstleistungen die künftig sich entwickelnde Nachfrage befriedigen werden. Nur er kann also aus dem von ihm erkannten Bedarf eine kundenübergreifende Nachfrage formen, die seinem spezifischen (künftigen) Angebot entspricht.

Catch 22?

Wenn es sich aber nun aber so verhält, dass StartUps in gänzlich neuen Märkten Image – Marketing betreiben müssen, um Awareness der Kunden

a) für ihre eigenen Bedarfe

b) und für zu diesen Bedarfenexklusiv passenden Lösungen wecken zu können

UND

wenn es sich außerdem so verhält, dass das StartUp über keinen signifikanten positiven Cash-flow jenseits der Investorengelder verfügt, also

c) eigentlich kein Geld in imagebildende Maßnahmen stecken kann, die nicht außerdem unmittelbar vertriebsrelevant werden und

d) idealerweise keine Maßnahmen durchführen sollte, von denen auch die künftigen Wettbewerber profitieren können,

dann haben wir eine klassische Catch 22 – Situation: Egal was das StartUp macht, es macht etwas falsch. Oder?

Es gibt einen goldenen Pfad

Aus dem beschriebenen Labyrinth gibt es einen goldenen Weg: Das StartUp kann den potenziellen Kunden in dieser Frühphase mit seinem Know-how-Vorsprung den Weg zeigen, wie sie zu einer Befriedigung ihrer neuen Bedarfe gelangen können. Es kann sie beraten.

Damit erspart sich das StartUp die Not, das eigene Leistungsangebot zu früh nach Form und Umfang festzulegen. So gelingt es ihm auch, seine kompetenzfokussierte Marke bei den Kunden aufzubauen. Klar lässt sich Beratung nicht skalieren. Es ist ein Einstieg, der aber, wenn dahinter in Umrissen Produktlinien erkennbar sind und dieser Einstieg auch als solcher verkauft wird, sehr erfolgreich sein kann, zumal damit bereits Geld verdient wird. Tatsächlich bin ich in ein StartUp investiert, das nach anfänglichem “Stochern im Nebel“ genau so vorgeht und damit, fürs erste jedenfalls, bemerkenswert erfolgreich ist.

In einem frühen Markt sind alle Nachfrager, die einen gleichen oder ähnlichen Bedarf artikulieren, die einzigen Player dieses Marktes: Sie sind die komplette künftige Nachfrage. Es wäre falsch, dem klassischen PMF-Rezeot folgend, in so einer Situation ohne Not ein MVP zu basteln, um zu schauen, ob der Kunde darauf abfährt. Das wäre Stochern im Nebel – einem Nebel, der noch sehr mobil, windgetrieben und instabil ist. Es ist viel besser, alle in Frage kommenden potenziellen Kunden zu beraten, also zu schauen, dass man unter ihnen einen gemeinsamen Bedarfsnenner findet, der dann für ein künftiges Angebot hinreichend großgemacht werden kann. Erst im Verlauf dieser Beratungen sollte das StartUp die eigene Leistung entwickeln. Der Charme dabei:

  1. Diese Beratung und der dabei angebotene Kundensupport können honoriert werden. Was nichts kostet, ist schließlich nichts wert.
  2. Im Verlauf dieser Beratungen kann das StartUp den potenziellen Kunden guten Gewissens erklären, es sei in der Lage, ihre spezifischen Bedarfe zu befriedigen. Die Kunst besteht darin, den Kunden zu vermitteln, sie müssten zunächst selbst ihre Bedarfssituation spezifizieren und dokumentieren: Nur wenn du wirklich weißt, was du brauchst, macht es für uns Sinn, dir genau das zur Verfügung zu stellen. Sonst kostet es dich zu viel (und uns natürlich auch). Dabei helfen wir dir aber gerne.

    So lenkt das StartUp den Kunden genau dorthin wo es ihn haben will und es ist außerdem in der Lage, potenziell am Markt auftauchende Wettbewerber auszugrenzen, die die schlechte, riskantere Strategie fahren und gleich mit einem MVP den Alle(s)versteher markieren.

Jeder gute Verkäufer betreibt immer die Suche nach dem Product-Market-Fit

Tatsächlich macht ein in einem gänzlich neuen Markt so operierendes StartUp nichts anderes als das, was jeder gute Vertrieb ohnehin tun sollte: Es analysiert den Kundenbedarf. Die einzige spezifische Differenz: Der potenzielle Kunde ist bereit, für die Assistenz des StartUps beim Erkennen und Spezifizieren seines Bedarfs zu zahlen. Dazu ist er deswegen bereit, weil es so gut wie niemanden gibt, der in diesem künftigen Markt über Expertise verfügt. Daher funktioniert dieser Weg auch nur dann, wenn es bei dem betreffenden StartUp wirklich mehr oder weniger exklusiv Kompetenz gibt. Hohle Kompetenz-Versprechen werden schnell decouvriert.

Was hat das alles mit Apple TV+ zu tun?

Apple macht, allerdings spiegelverkehrt, genau das Empfohlene: Es stellt mit seinem Streaming – Kanal eine Content – Kompetenz aus, die auf seine Kernprodukte abstrahlt. Apple befindet sich in einer zu StartUps auf neuen Märkten spiegelverkehrten Ausgangslage. Für das größte Unternehmen „wo gibt“ wäre es extrem ineffizient, den ständig zwischen den Endgeräten und Betriebssystemanbietern hin- und herwechselnden partikularen Hardware-Vorsprung in den Mittelpunkt des Kommunikations – Contents zu stellen. Zeitstabil wäre der jeweils kommunizierte Vorteil jedenfalls nicht.

Lieber investiert Apple in zielgruppengenauen, hochwertigen Content. Dafür zahlt es weniger Geld als es zahlen müsste, würde es diese Kompetenz genauso glaubwürdig aber im Hardeware-Kleinklein-Daten-Fomat und im Wettbedwerb mit anderen Anbietern, direkt auf seine Endgerät-Gattungen projizieren. Apple TV+ bekommt ja Geld von seinen Kunden. Nicht viel, aber ausreichend und vor allem so, dass man ihm nicht Marktbeherrschung unterstellen kann. Apples Kosten für TV+ sind letztlich ‘nur’ Opportunitätskosten zu denen sich über die Masse der iPhones ein perfekt skalierender Nutzen gesellt.

StartUps dokumentieren mit der oben skizzierten Beratungstrategie in neuen Märkten eine analoge Kompetenz: Sie liefern ihren frühen Kunden Kompetenz und bekommen dafür, immerhin, wie Apple, ein wenig Geld. Diese Kompetenz liefert, stärker noch als bei Apple TV+, einen perfekten Image-Transfer auf künftige Produkte. Die Alternative ist, wie beschrieben, teurer und riskanter und sie hilft nicht dabei, den Markt auf das eigene Unternehmen zu orientieren. MVPs für neue Märkte bauen ist, wie gesagt, Stochern in einem sehr flüchtigen Nebel.

Der wirkliche Unterschied zwischen Apples TV+-Strategie und der beschriebenen StartUp-in-neuem-Markt-Strategie ist nur der, dass man für die Content-Kompetenz-Behauptung in neuen Märkten keine teuren Studios unterhalten muss, da die Zahl der potenziellen Kunden in einem neuen Markt – noch – so überschaubar ist, dass sich die hoffentlich tatsächlich vorhandene Kompetenz von alleine per Mundpropaganda verbreiten wird, spätestens dann, wenn die Wettbewerber des Kunden es diesem gleichtun wollen.

Der zweite Unterschied, dass das StartUp seinen künftigen Kernmarkt kommuniziert, Apple dagegen mit TV+ in einem kernproduktfernen Markt agiert, ist nur der unterschiedlichen Markt- und Unternehmensreife geschuldet: Ein neuer Player in einem neuen Markt hat den Luxus, seine Dienstleistung ausschließlich auf die Erfordernisse dieses Marktes fokussieren zu können, ohne sich, wie Apple via Apple TV+, letztlich mit gekauftem und für Apple-Kunden gecustomizten hochwertigen Content, mühsam von Dritten abgrenzen zu müssen.

Fazit

Um in einem komplett neuen Markt Kompetenz, wirkliche Kompetenz, auszustrahlen und so auf sich aufmerksam zu machen, ohne wissen zu können, wohin sich der künftige Markt bewegen wird, empfiehlt es sich, gemeinsam mit den potentiellen Kunden ihren Bedarfen auf die Spur zu kommen. Dabei muss das Startup weiter sehen können als der Kunde es kann. Aber es muss sich nicht zur Unzeit auf Product Features festlegen und sollte das auch nicht.

In meinem nächsten Post werde ich zeigen was passiert, wenn StartUps einen anderen, weniger reflektierten Weg gehen, indem sie zwar, wie Apple TV+, mit teurem Geld Content bereit stellen und so erfolgreich das eigene Image aufplustern, dann allerdings, anders als Apple, feststellen müssen, anschließend kein Geld mehr zu haben, um dem Versprechen des eigenen Vermögens nachfragegerecht Taten folgen lassen zu können.