Schuldig!

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Schuldig
Elisabeth Holmes

Schuldig

Wer schon einmal ein StartUp in den regulierten Markt einer Wertpapierbörse gebracht hat, mindestens der oder die weiß, dass ein moralinsaures sich Erheben über ‚fake it till you make it‘ – Missetaten anderer unweigerlich pharisäerhaft wirken muss. Mit blütendweißer Weste kommt man im StartUp – Ökosystem nicht weit, neu an der Börse schon gar nicht – leider. Nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Gerade deshalb halte ich es aber für gut, richtig und erfreulich, dass Elisabeth Holmes (Theranos) jetzt in erster Instanz in Bezug auf (wenigstens) vier der elf ihr zu Last gelegten Betrugstatbestände (gegenüber Investoren) für schuldig befunden wurde. Für einen Schuldspruch hinsichtlich der sieben anderen, insbesondere dem mehrfachen schweren Betrug an Kunden, also Patienten, fehlte es in der Jury an der erforderlichen Einstimmigkeit. Diese notwendige Einstimmigkeit der Jury ist wahrscheinlich das schärfste Schwert ihrer Verteidigung gewesen. Geholfen hat Holmes auch, dass ihre Leute praktisch sämtliche Beweismittel bezüglich des fortgesetzten mutmaßlichen Kundenbetrugs rechtzeitig vernichtet hatten, bevor Theranos 2018 für immer seine Tore schließen musste.

Es ist gut, richtig und erfreulich, dass das Urteil in wenigstens diesen vier Fällen auf „schuldig!“ lautet, weil die StartUp – Szene, zumal die im Valley, weltweit wie kaum eine andere, junge, intelligente, erfolgshungrige Menschen inspiriert und weil ihre Protagonisten als Testimonials, Influencerinnen und Influencer mit phänomenaler Wirkmächtigkeit Vorbildfunktionen ausüben. Wenn falsche oder schlechte Heldinnen und Helden als Vorbilder wirken, hat das auf mittlere Sicht fatale Konsequenzen nicht nur für die zahlenmäßig überschaubar große globale StartUp Community, sondern darüber hinaus eben auch für alle, denen beruflicher Erfolg etwas bedeutet.

Die Grenze zwischen optimistischer Prognose und Betrug ist eine harte Grenze

Die Grenze zwischen nach menschlichem Ermessen allzu optimistischen Umsatz- und Ergebnisprognosen oder übertrieben optimistischen Leistungsversprechen, die Gründerinnen und Gründer im Zusammenhang von pre money Bewertungen aus verständlichen Gründen typischerweise von sich geben einerseits und erfundenen, vorgetäuschten Umsätzen, Ergebnissen und Leistungsbehauptungen andererseits, ist keine fließende Grenze. Sie ist hart.

Es gibt dort keinen Graubereich. Das deutlich gemacht zu haben, ist der eigentliche Mehrwert des Schuldspruches. Selbst wer hierzulande nach IFRS bilanziert und beispielsweise künftig erwartete Geldflüsse aus noch gar nicht abgerechneten Aufträgen schon heute als Teilumsätze in seine Bücher schreiben möchte um den StartUp – Umsatz aufzublähen, kann das nur, insoweit auch die korrespondierenden Kosten der Leistungserbringung a) tatsächlich entstanden und b) anteilig in die Bücher geschrieben werden.

Um etwas anderes handelt es sich, wenn Vermögenswerte, zumal immaterielle, überhöht angesetzt werden. Hier gibt es Ermessenspielraum. Allerdings: Wer zu hoch pokert und seine Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dabei mitnehmen kann, die oder der zahlt dafür später einen hohen Preis: Die unumgänglich werdende Sonderabschreibung schadet dem Unternehmen später erheblich mehr als die ursprüngliche Höherbewertung seines (immateriellen) Vermögens ihm oder den Gründern zwecks anfänglicher Höherbewertung des Unternehmens zunächst genutzt haben mag. Ein so erstrittener höherer Anteil der Gründer am Unternehmenskuchen wird später durch die drastische und oft nicht mehr korrigierbare Wertminderung der Anteile überkompensiert.

Ich weiß nicht, mit welchen Werten Theranos‘ Technologie über die Jahre in die Bücher geschrieben wurde, aber ganz sicher wurde sie kontinuierlich falsch bewertet, denn das schick aussehende „Mini-Labor“, mit dem „hunderte unterschiedliche Bluttests“ mit „nur einem Tropfen Blut aus der Fingerkuppe verlässlich“ durchgeführt werden können sollten, konnte tatsächlich fast nichts. In der Theranos – Praxis wurde es durch ein teures Siemens – Gerät ersetzt.

Das allerdings wurde umprogrammiert, damit die Mär von dem einen Tropfen Patientenblut aus der Fingerkuppe überhaupt aufrecht erhalten werden konnte. Die Ergebnisse der Theranos – Tests waren in der Folge regelmäßig falsch positiv oder falsch negativ. Denn das aus der Fingerkuppe gequetschte Blut wurde regelmäßig, unfreiwillig, mit der Zellflüssigkeit der Patienten versetzt und korrumpierte so die Testergebnisse. Zusätzlich musste dieses Fingerkuppen – Blut-/Zellflüsskeitsgemisch aber für die Fremdgeräte auch noch weiter gestreckt werden.

Was es für Krebspatienten im Endstadium bedeuten musste, wenn ihnen auf diese Weise falsche Hoffnungen gemacht wurde, mag ich mir nicht ausmalen. Aber so what? Die sind ja jetzt tot.

Missbrauchs – Rührstück hat bei der Jury nicht verfangen

Dass sich die Jury nicht von dem Tränen – Rührstück der Elisabeth Holmes über den angeblich fortlaufend erlittenen Missbrauch seitens ihres Lovers und COOs „Sunny“ Ramesh Balwani („mein Tiger“) erweichen ließ, stimmt da hoffnungsfroh. Denn diese so wunderbar in unsere Zeit passende Story, flankiert vom herzigem Händchenhalten mit Partner und Mum, war wirklich gekonnt inszeniert. Überhaupt: Auf PR und Corporate Behaviour, just-in-time, verstand sich Holmes schon in ihrer aktiven Zeit glänzend. Ihre legendären Steve Jobs – Rollpullis wurden zynischerweise zu einem Merchandise – Schnelldreher vor dem Gerichtsgebäude. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Zeugung und Austragung ihres ersten Kindes nicht auch einfach nur diesem Kalkül entsprungen war und präventiv dem Zweck dienen sollte, den Richter eines Tages zu einem moderaten Strafmaß zu veranlassen.