Vorurteile und Sympathien leiten zu viele Business Angels, Teil 2 von 3

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Survival-of-the-hippest

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Der hippste Business Angel ist nicht zwingend der fitteste (Originalbild von t3n)

Das Team ist Key – und sonst nichts

Das zentrale Datum für Angels bei der Beurteilung frühphasiger Start-ups ist das Gründerteam. Zwar gehören zu einem sehr guten Start-up auch ein gutes Geschäftsmodell, ein chancenreicher Markt, ein bedarfsgerechtes Produkt usf. Aber gerade weil frühphasige Start-ups voraussichtlich noch einige Male ihr Geschäftsmodell drehen und wenden, ihren Marktfokus und ihre MVPs modifizieren, ihre Teamstruktur verändern und auch ihren Kapitalbedarf den sich wandelnden Facetten des eigenen Unternehmens anpassen werden, gerade deshalb macht es für einen Seed-Investor keinen großen Sinn, andere Gesichtspunkte in den Mittelpunkt der Beurteilung zu rücken als eben die Qualitäten des Gründerteams. „SaaS!“ rufen und in einen Business Plan oder Pitch Deck eintragen, das kann jeder.

Ein gutes Gründerteam wird ein gutes Geschäftsmodell, einen chancenreichen Markt und ein bedarfsgerechtes Produkt entwickelt haben oder entwickeln, sonst wäre es kein gutes Gründerteam. Aber es muss eben auch erkennen, wann ein Produkt oder eine Dienstleistung aufhört bedarfsgerecht zu sein, wann ein Markt aufhört, für dieses Produkt chancenreich zu sein und es muss daraus die richtigen Entscheidungen ableiten und diese anschließend um- und durchsetzen – gegebenenfalls gegen mindestens anfängliche interne und externe Stakeholder-Widerstände.

Keine KI kann Startup – Teamqualitäten antizipieren

Genau dieses Kriterium, die Qualität des Gründerteams, ist nun aber dummerweise überhaupt nicht messbar. Zwar gibt es inzwischen viele, teilweise KI-gestützte Methoden und Verfahren zur Beurteilung von Teams. Jedoch ist keine dieser Methoden, auch wenn sie gerne anderes für sich reklamieren, wirklich darauf ausgelegt, signifikante Schwächen in Gründerteams zugunsten noch signifikanterer Stärken zu identifizieren, auszubalancieren oder zu gewichten. Denn „signifikant” in diesem Zusammenhang bedeutet zum wirtschaftlichen Erfolg führend.

Psychogramme mögen dabei helfen ausgewogene Teams zusammenzustellen, aber sie sagen nicht voraus, welche Teams Erfolg haben werden...
Psychogramme mögen dabei helfen ausgewogene Teams zusammenzustellen, aber sie sagen nicht voraus, welche Teams Erfolg haben werden…

Welche Stärken und welche Schwächen dereinst signifikant sein werden, hängt wesentlich von den Umständen ab, die das betreffende Startup im Laufe seiner Entwicklung antreffen wird. Und welche das wiederum sein werden, ist keine Frage nur der externen oder nur der internen Umstände, sondern ein Resultat aus dem dynamischen und damit prinzipiell unvorhersehbaren Aufeinandertreffen beider, der endogenen und der exogenen Umstände.

Analytisch, mutig, umsichtig, risikobereit, resilient, flexibel, blablabla

Es hilft auch nicht viel, die höchst generisch definierten Gründereigenschaften zu verinnerlichen und bei Startups zu suchen, die sich in der Business Angel und VC-Ratgeberliteratur nachlesen lassen. Resilienz, Intelligenz, Frustrationstoleranz, Mut, Flexibilität, Führungsstärke usf. sind alles hübsche Worte. Aber Resilienz kann sich in einer Situation, die kluge Zurückhaltung oder Flexibilität verlangt, als intransingente Sturheit mit letalen Konsequenzen äußern. Umgekehrt können ein allzu flexibler und analytisch umsichtiger Gründer und sein ebensolches Team einfach umgepustet werden, wenn sie nicht rechtzeitig „blauäugig” echte Risiken eingegangen sind und sich eine Pole Position erkämpft haenb, bevor andere das mit weniger Umsicht, analytischer Einsicht und Flexibilität aber mehr Geld und Energie getan haben werden. Analytische Fähigkeiten können bei Gründern zu Entscheidungsunfähigkeit führen. Führungsstärke und motivatorische Potenz wiederum sind keineswegs ein Erfolsgarant, sondern können ein Start-up buchstäblich in den Untergang führen. Man könnte außerdem einwenden, die vielen geforderten, sehr heterogenen Gründereigenschaften neutralisierten sich wechselseitig: Der richtige Mix aus all diesen und vielen anderen wichtigen Eigenschaften kann zu einem statischen Parallelogramm sich wechselseitig neutralisierender Kräfte führen. Entscheidend bleibt, wann sich die gesuchten Eigenschften in einer konkreten Situation wie artikulieren. Das lässt sich von keiner menschlichen oder künstlichen Intelligenz halbwegs belastbar vorhersagen. Außerdem hat Marc Andreessen ja Recht mit seiner Beobachtung, die „besonders starken” Start-ups seien auch diejenigen mit den besonders ausgeprägten Schwächen.

Andere Kriterien gibt es leider nicht

Dennoch sind Business Angels gut beraten, ihre Investitionsentscheidungen maßgeblich von den beobachteten Stärken und Schwächen der Gründerteams abhängig zu machen. Wie eingangs festgestellt, gibt es schlechterdings keine anderen Kriterien. Die Qualität des MVPs, die Wahl des Geschäftsmodells, des Marktes, des Teams usf. sagen wenig Belastbares über die Qualität dieser Dinge in der Zukunft des betreffenden Start-ups aus. Aber sie sagen einiges über die Qualität des betreffenden Gründerteams in der Gegenwart aus. Und mehr haben wir halt nicht.

Sympathiewerte sind nicht Erfolgsbedingungen…

Gefährlich für Angel Investoren wird es, wenn sie in Ermangelung harter Kriterien an deren Stelle ihre sehr persönlichen Sympathiewerte setzen. Das sind dann unter Umständen solche, die weniger etwas mit dem künftigen Erfolg des Startups als mit der „Chemie“ zwischen ihnen und den Gründern zu tun haben. Erfolgsvoraussetzung für ein gutes Start-up ist aber sicherlich nicht, dass seine Gründer dem Business Angel sympathisch sind. Das schadet zwar nicht, es kann sogar hilfreich sein. Aber es ist nicht wesentlich.

Die Gefahr, Sympathiewerte mit Erfolgsvoraussetzungen zu verwechseln laufen VCs nicht oder in deutlich schwächerem Ausmaß. VCs sind persönlich weniger gebunden, denn in einem VC sitzt nicht nur ein persönlich involvierter Ansprechpartner für das jeweilige Start-up. Dort sitzen noch andere: Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte, denen die persönlichen Vorlieben der Kollegin oder des Kollegen herzlich egal sind. Und vor allem sitzen dort am Ende der Kette LPs, die einen ordentlichen Return erwarten und wünschen, dass rasch die Reißleine gezogen wird, wenn absehbar ist, dass sich das Investment zu einem Flop entwickelt.

Sehr wohl kann aber die eigene Vita als Folie der Beurteilung dienen

Demgegenüber ist der Business Angel allerdings sehr gut beraten, wenn er seine eigene Berufsbiographie und die seiner ehemaligen Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzten heranzieht, um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich es ist, dass Gründer a, b und c z.B. in einer brenzligen Situation x eine Entscheidung treffen werden, die zu einem ähnlich erfolgreichen Ende y oder zu einer ähnlich bedrohlichen Situation z führen werden wie weiland im Berufsleben des Angels. Voraussetzung für die angesprochene Belastbarkeit ist, dass der Angel sich selbst in einem ungetrübten, „ehrlichen” Licht sieht. Die eigenen Fehler und die eigenen Niederlagen sind ein viel besserer Maßstab der Beurteilung als die eigenen Erfolge.

Distanz ist das beste Rezept zur Gewinnung des objektiven” Blicks

Das beste Mittel gegen allzu starkes Menscheln entweder in der Beziehung zwischen dem Angel und seinem Start-up oder auch nur im Kopf des Angels bezüglich der „Liebe” zu „seinem” Start-up ist eine bewusst aufrecht erhaltene professionelle Distanz und bei aller Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber seinem Start-up der Verzicht auf übertriebene Kameraderie. Gerade in Deutschland und seiner Gründerszene, wo schon lange das inzwischen allgegenwärtige, vermeintlich aus dem amerikanischen VC-Stammland übernommene kumpelhafte „Du“ gepflegt und fälschlich mit partnerschaftlichem „auf Augenhöhe“ übersetzt wird, ist diese Gefahr allgegenwärtig. Und gerade Angels, die vielleicht schon etwas in die Jahre gekommen sind und sich zum Ende ihrer Karriere gerne noch einmal jung, cool und dynamisch sehen wollen, ist diese Gefahr größer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wenn es sich schon so verhält, dass ein Business Angel seine harten Investitionsentscheidungen von der Beurteilung weicher menschlicher Fakoren abhängig machen muss, dann sollte dieser Angel dieses Risiko nicht noch dadurch potenzieren, dass er sich bereitwillig in ein Setting versetzt oder versetzen lässt, das eine objektive und unabhängige Entscheidung zusätzlich erschwert.